Auf Telepolis läuft gerade ein mehrteiliger Artikel zum Thema „Sanktionen gegen Hartz-IV Empfänger“. Das ganz ist als Interview von Claudia Dasekin und Soveig Koitz aufgezogen, den Autoren einer über 100-seitigen Broschüre (PDF), die sich mit den gegen Hartz-IV-Empfänger ausgesprochenen Sanktionen befasst. Der erste Teil „Aushungern und Fordern“ beschreibt unter anderem, dass ein Großteil der Sanktionen widerrechtlich ist. Dazu passt auch der am 5. August hier verlinkte Artikel auf Kinder-Alarm zum Thema „Sanktionen„, eben das die Agenturen wohl eine Mindest-Abschußquote nachweisen müssen.
Die PDF-Broschüre liest sich zum Teil wie eine Horrorgeschichte, aber das Erschreckendste daran ist wohl, dass die dort geschilderten Fälle eben nicht aus dem Reich der Phantasie stammen sondern Menschen in diesem Land so angetan wurden. Ein bemerkenswertes Zitat von Jean-Jaques Rousseau (1712-1778) lautet:
Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, daß er tun kan, was er will, sondern daß er nicht tun muß, was er nicht will.
Rousseau ist 231 Jahre tot, dieses Freiheitsprinzip hat es aber trotzdem vor 60 Jahren in unser Grundgesetz geschafft. Artikel 12 Abs.2 lautet:
(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.
Jetzt kann man natürlich trefflich darüber philosophieren, ob der Zwang an sinnlosen Beschäftigungsmaßnahmen oder der Druck sich sittenwidrigen Arbeitsverträgen zu unterwerfen ein Verstoß gegen diesesn Grundgesetzartikel ist oder ob das mittlerweile unter die „allgemeine, für alle gleichen öffentliche Dienstleistungspflicht“ fällt.
Thomas Meyer hat dieses Zwangsarbeit bereits am 26.02.2005 als „Betrachtung aus der Sicht eines Gefangenen“ thematisiert. Wenn man ein wenig im Internet sucht findet man z.B. auch ein PDF-Formular mit Widerspruch gegen die Zwangsarbeit durch die Eingliederungsvereinbarung.
Auch der „Sozialticker“ fragt bereits am 6. Juli 2008 „Hartz IV: Zwangsarbeit wieder salonfähig?“ Letztlich stellt man bei einer solchen Recherche dann fest, dass wir uns zwar hin und wieder um die Entschädigung von Zwangsarbeitern im Dritten Reich kümmern, aber gleichzeitig hier und jetzt eine ähnliche Situation für die Leute die unter Hartz-IV fallen tolerieren. Natürlich werden jetzt wieder andere sagen, dass der Zwangsarbeiter der Nazi-Zeit Angst um sein Leben haben musste während hier ja (offiziell) keiner verhungert. Aber wenn man die Broschüre liest und dann feststellt, dass Leute die sich dank der Sanktionen z.B. kein Insulin für ihre Diabetes leisten konnten und damit tatsächlich subjektiv Todesängste empfunden haben, dann relativiert sich das wieder.
Wobei Emotionen sowieso relativ sind. Meine Tochter kann in Wehklagen ausbrechen wenn sie am Fensterbrett eine tote Fliege findet („heul, das war meine Lieblingsfliege“), andere Leute trauern um Verwandte oder weil sie ihren Job verlieren usw. Es gibt meines Wissens keine Skala in der körperlicher Schmerz oder auch seelischer Schmerz gemessen werden kann. Und es wäre überheblich, die Leidenden nicht verstehen zu wollen.
Wie können wir es uns dann anmaßen, „zumutbare Arbeit“ zu definieren, noch dazu in einer Zeit in der längst klar ist, dass diese „Zumutbarkeit“ eigentlich nur zwei Ziele verfolgt:
- Viele „Beschäftigungsgesellschaften“ verdienen richtig gut an den an sie vermittelten Hartz-IV-Empfängern
- Durch die „Zwangsverordnung von zumutbarer Arbeit“ drückt man auch wunderschön das Lohnnivau. Nicht umsonst stellen wir im internationalen Vergleich plötzlich fest, dass in Deutschland die Reallöhne gesunken sind während sie überall anders gestiegen sind.
Das eigentliche Ziel „Wiedereingleiderung in den Arbeitsmarkt“ hat man dabei längst verdrängt, kein Wunder in Zeiten von Stellenabbau und Kurzarbeit existiert faktisch der erwünschte Arbeitsmarkt sowieso nicht mehr.
Ich hoffe sehr, dass sich vor der Wahl noch möglichst viele Leute dieses Interview und das recherchierte Material zu Gemüte führen und sich ernsthaft fragen, ob sie mit ihrer Stimme am Sonntag eine Fortführung dieser menschenverachtenden Politik ermöglichen wollen, oder ob sie diese Zustände ändern wollen.
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