Willkommen im Orwell-Staat

Wer 1984 von George Orwell gelesen hat kennt den Begriff des „Newsspeak“, zu Deutsch auch „Neusprech„. Gestern hat das Fraunhofer Institut („Wir erfinden Zukunft“) eine Pressemitteilung herausgegeben die bei mir schlagartig das Gefühl des Newsspeak auslöst. Es geht um eine neue Entwicklung in der Radar-Technik die mit GSM arbeiten soll. Als Techniker bin ich natürlich an so was interessiert, aber wenn ich dann diese Pressemitteilung lese, läuft es mir eiskalt den Rücken herunter..


Der erste Satz zeigt sofort, wohin man den Leser schicken will: „Viele Küstengebiete und Häfen sind kaum gegen Terrorangriffe gesichert.“ Terror als Vokabel des Neusprech mit dessen vermeintlicher Abwehr man alles zu begründen versucht.

Weiter im Text:  „…nicht überall gibt es Radaranlagen, die kleine Boote erfassen können. Für Terroristen wäre es ein Leichtes, sich den Küsten mit Speedbooten zu nähern, um Sprengstoff an Land zu bringen.

Hier wird das Szenario eines Terroanschlags auf Küsten skizziert das wohl so nur in Absurdistan stattfinden kann.  Und es geht nicht nur um Terroristen, sondern auch um „Schnellboote, mit denen sich Piraten Frachtschiffen nähern.

BULLSHIT!

Zerpflücken wir das ganze doch mal. Die erste Behauptung dass es keine Radaranlagen gibt die kleine Boote erfassen können halte für eine schlichte Lüge. In meiner Jugend habe ich ein sehr interessantes Buch über die Entwicklung der Radartechnik gelesen. Da ging es um Radaranlagen wie Freya oder Würzburg und auch um die Entwicklungen bei auf der anderen Seite der Front. Und man konnte da auch lesen, dass die Radartechnik nicht nur zur Luftabwehr verwendet wurde, sondern der deutschen U-Boot-Flotte massive Probleme bereitete, denn man war in der Lage, das U-Boot selbst beim Schnorcheln durch das Radar zu orten. Also nochmal zum Mitschreiben: Vor 70 Jahren, als die Radartechnik noch in den Kinderschuhen steckte und wie das Dampfradio mit Röhren lief war man in der Lage einen kleinen Schnorchel der aus dem Wasser ragt per Radar zu erkennen und in 2014 ist man angeblich nicht in der Lage über Radar ein kleines Boot zu erkennen? So eine dreiste Lüge empfinde ich als Beleidigung meiner Intelligenz.

Weiter im Text. Terroristen nähern sich also der Küste mit sprengstoffbleadenen Speed-Booten. Warum? Wie oft ist so etwas schon passiert? Eigentlich kann ich mich nur an einen Anschlag mit einem mit Sprengstoff beladenen Boot erinnern, das war am 12. Oktober 2000 und traf den amerikanischen Zerstörer USS Cole der in der vor der jemenitischen Hauptstadt Aden vor Anker lag. Ein Kriegsschiff also, das mit Sicherheit über ein sehr viel besseres Radar verfügt als die Kriegsschiffe vor 70 Jahren.

Und auch die Schnellbote der Piraten die Frachtschiffe angreifen sind ein Argument das kaum haltbar ist, denn Frachtschiffe haben natürlich auch eine Radaranlage und brauchen sicher kein GSM basiertes Radar das wohl eh nur in Küstennähe funktionieren würde da GSM Stationen ja nur eine begrenzte Reichweite haben.

Nchdem das ganze Terrorszenario sich als dreiste Panikmache entpuppt fragt man sich natürlich, was für einen anderen Zweck diese Technologie haben könnte. Und da geht es mir wie vielen Kommentatoren bei Heise die zu dieser Meldung etwas geschrieben haben, es drängt sich förmlich ein ganz anderes Szenario auf, nämlich die Abwehr von Flüchtlingsbooten an den EU-Außengrenzen. Die Festung Europa, also der goldene Käfig in dem wir leben muss ja gegen Flüchtlinge abgedichtet werden. Sehenswert zu diesem Thema ist „Die Anstalt vom 18.11.2014“, wer das verpasst hat sollte es sich hier auf YouTube unbedingt ansehen.

Für mich ist diese Meldung ein weiteres Indiz, dass wir uns immer mehr zum Orwell-Staat entwickeln. Der Bürger wird mit Terror-Paranoia überzogen und tatsächlich geht aber der Terror vom Staat aus und trifft die Bürger oder eben auch die Flüchtlinge die vor realem Terror in ihrer Heimat fliehen. Über die moralische Verantwortung der Wissenschaftler die hier Forschung betreiben mag ich gar nicht anfangen weiterzudenken, die werden sich vielleicht an das Terror-Märchen klammern um sich einreden zu können sie würden für eine „gute Sache“ forschen.

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4 Gedanken zu „Willkommen im Orwell-Staat

  1. Ist der Link zu Heise kaputt?

    Ansonsten fühle ich mich in Zeiten zurückversetzt, in denen ich eigentlich nicht gelebt habe. Aber ich möchte eine Wiederkehr nicht haben.

  2. Die „Anstalt“ ist bedrückend. Lachen war da nicht.

    Ich finde übrigens, dass wir George Orwell bald durch Aldous Huxley ersetzen können. Brave new world dürfte den Anschluss liefern!

  3. Pingback: Neusprech-hirnfick des tages | Schwerdtfegr (beta)

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