Und wieder geht ein unbequemer Kritiker

Heute starb der Schriftsteller Günter Grass im Alter von 87 Jahren. Mein „Erstkontakt“ mit Günter Grass und seinen Werken passierte auf denkbar schlechte Weise, ich war ein Teenager und sah mir im Kino den Film „Die Blechtrommel“ an, die Verfilmung des Buches für die er dann den Literatur-Nobelpreis erhielt.

Den Film habe ich als ein arg perverses und ekeliges Machwerk in Erinnerung, möglichweise liegt das an der filmischen Umsetzung oder daran, dass ich damals noch nicht die geistige Reife und Erfahrung hatte über die ich heute verfüge.

Jahrelang hatte ich Günter Grass dann eigentlich nicht mehr auf dem Radar, bis er sich 2012 dann erdreistete „Jehova“ zu sagen, sich also als Deutscher offen gegen die israelische Kriegspolitik die nach seiner Ansicht den Weltfrieden gefährdete auszusprechen. Das erzeugte einige Turbulenzen in der Politik, denn Kritik an Israel ist (offensichtlich) für Deutsche Staatsbürger ein nicht übertretbares Tabu. Man bezichtigte ihn also prompt als Antisemit und stützte diese Einschätzung auch auf die Tatsache, dass Günter Grass im Alter von 17 Jahren der Waffen-SS angehört hat. Bei Wikipedia heißt es:

Am 8. April 2012 erklärte die israelische Regierung Günter Grass, aus juristischen Gründen, offiziell aufgrund seiner Mitgliedschaft in der Waffen-SS, zur Persona non grata und verhängte ein Einreiseverbot.

Ich finde das insofern bemerkenswert, denn dem „Was gesagt werden muss“-Gedicht wurden keine tatsächlichen Argumente entgegengesetzt, sondern man hat sich sofort auf die Waffen-SS-Vergangenheit des Autors eingeschossen um ihn deshalb öffentlich zu demontieren. Im Fachjargon heißt diese Argumentationstechnik auch „ad personam“ oder einfach gesagt „Wenn man keine sachlichen Argumente hat, dann haut man halt auf die Person ein“.

Bei einer nüchternen Betrachtung dieser Mitgliedschaft in der Waffen-SS sollte man mal an folgende Faktoren denken:

  1. Günter Grass war 17 Jahre alt, als er zur Waffen-SS eingezogen wurde. Welche heldenhaften Handlungsoptionen hätte er den gehabt, sich dieser Einberufung zu widersetzen? In der Endphase eines verlorenen Krieges? Wo er szusagen als Kindsoldat verheizt werden sollte?
  2. Hitler kam 1933 an die Macht. Das heißt, das Günter Grass seit seinem 6. Lebensjahr in einem System lebte das die Propaganda für damalige Zeiten perfektioniert hat und gegenteilige Meinungen unterdrückte (Feindsender). Stellen wir uns mal heute einen 17-jährigen vor und nehmen an, der hätte seit er lesen kann nur die BILD-Zeitung gelesen. Könnten wir ihm dann vorwerfen, wenn er sich z.B. einer Bewegung wie Pegida anschließen würde?

Ja, Günter Grass war unbequem, aber er hatte eine Meinung und die vertrat er auch, selbst wenn er deswegen angegriffen wurde. Er wird als kritische Stimme diesem Land fehlen.

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Ein Gedanke zu „Und wieder geht ein unbequemer Kritiker

  1. Günther Grass wie Heinrich Böll und andere waren für bestimmte Kreise sehr unangenehme Zeitgenossen und nicht wenige betrachteten diese als Nestbeschmutzer und Störfaktoren im deutschen Wohlfühlstaat. Sie waren unbeugsame Kämpfer und Mahner und wurden trotz der guten Sache, die sie vertraten eher im gesellschaftlichen Abseits verortet (zusammen mit anderen Asozialen). Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut, ein noch höheres Gut wäre es, wenn man die Meinung des anderen auch entsprechend achtete und respektierte. Da haben wir noch eine Menge Defizite. Ich finde es sehr bedauerlich, dass Grass, Böll und Co eine Lücke hinterlassen haben, die – soweit ich das sehe oder nicht sehe – nicht adäquat geschlossen wird.

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