Links für 2010-06-28 (G20-Gipfel Spezial)

Heute ein paar Links zu den Ereignissen um den G20 Wirtschaftsgipfel in Toronto:

Der Anfang vom Ende

scheint gerade auf der politischen Bühne in Berlin inszeniert zu werden. Sogar das ehemalige Nachrichtenmagazin hat als Titel diese Woche nur „Aufhören!“ und fordert sozusagen das Ende der Koalition des Schreckens. Das unlängst beschlossene Sparpaket bringt die Volksseele zum Kochen und tatsächliche Wirtschaftsexperten nehmen den „Zu-Tode-Sparkurs“ der Deutschen heftig unter Kreuzfeuer. So urteilte der Nobelpreisträger über die Sparmaßnahmen in Europa „Madmen in Authority„, zu deutsch „Verrückte an der Macht„. Krugmann steht mit dieser Einschätzung nicht alleine da. Auch Heiner Falssbeck haut heute auf den NachDenkSeiten in die gleiche Kerbe:

Die kleine logische Hürde, dass es schlicht unmöglich ist, dass alle ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessern und Leistungsbilanzüberschüsse haben, kümmert uns nicht. Wir werden uns doch bei ideologisch bedeutsamen Fragen nicht von der Logik stören lassen.

Genial. Und Heiner Flassbeck weiß ganz genau wovon er spricht denn Seit November 2000 ist er Chef-Volkswirt (Chief of Macroeconomics and Development) bei der UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung (UNCTAD) in Genf. Und als Volkswirt hat er wohl weitaus mehr Kompetenz in Sachen Volkswirtschaft als unser Wirtschaftsminister Brüderle oder Finanzminister Schäuble obwohl die beiden auch Wirtschaftslehre und Brüderle sogar Volkswirtschaftslehre studiert haben. Aber entweder haben sie in ihrem Studium nicht aufgepasst oder sie haben sich so in die neoliberale Ideologie verrannt, dass sie sehenden Auges in der Abgrund gehen. Flassbeck beschreibt das in einer deprimierenden Zukunftsvision:

So ist das Ergebnis ganz einfach. Die Europäer gehen gemeinsam in die Deflation, weil überall der Gürtel enger geschnallt und Löhne gesenkt werden. Die kurzfristigen Gewinne an Wettbewerbsfähigkeit gegenüber dem Rest der Welt durch die Lohnsenkung und den schwachen Euro werden sie eine Weile in dem Glauben bestärken, den richtigen Weg gefunden zu haben. Dann, wenn es eigentlich schon endgültig zu spät ist, werden sie sich noch über die Aufwertung des Euro freuen, der steigt, weil die ganze restliche Welt einschließlich Chinas zum Superschuldner des Eurolandes geworden ist. Erst in der großen Krise des Jahres 2015 werden sie endgültig feststellen, dass dieses Europa keine Zukunft hat. Dann wird man den einfachen Menschen in Deutschland, die schon 15 Jahre keinerlei Einkommenszuwachs und keinen Konsumzuwachs mehr gesehen haben, wieder erklären, dass sie zu lange über ihre Verhältnisse gelebt haben.

Eine Vision die eine Wahrscheinlichkeit irgendwo sehr nahe bei 1 hat wahr zu werden. Denn mittlerweile gibt es die ersten Zahlen aus dem unlängst mit Spardiktat geretteten Griechenland. Das Querschüsse-Blog schreibt dazu:

„Griechenlands unlösbares Dilemma“ bleibt erhalten, da die griechischen Sparprogramme im Schlepptau der Hilfen der EU und des IWFs die Wirtschaft abwürgen! Damit bleibt die „Voodoo-Ökonomie“ auf Kurs, neue Schulden refinanzieren die alten, aber eine Tilgung der Verbindlichkeiten wird wegen fehlender Leistungsfähigkeit der Wirtschaft immer unwahrscheinlicher.

Na dann. Zurücklehnen und zuschauen, wie der Kapitalismus mit Donnergetöse gegen die Wand fährt. Dummerweise wird die neoliberale Doktrin wieder Millionen von Menschen verelenden lassen und andern bis zum Schluss die Illusion von Reichtum geben.

Nur 5 Jahre Sozialhilfe?

Wenn es um das Thema Einsparungen geht kommen natürlich immer die Sozialausgaben auf den Prüfstand. Und in diversen Diskussionsforen liest man dann auch immer wieder, dass man die Laufzeit für Sozialhilfe so wie in den USA auf nur 5 Jahre beschränken sollte, denn damit würde die Anzahl der Sozialhilfeempfänger zurückgehen, die Maßnahme also Wirkung zeigen.

Dass eine Laufzeitlimitierung rein mathematisch zum Sinken der Anzahl der Leute die Sozialhilfe beziehen führt ist diesen neoliberalen Predigern vielleicht noch bewusst, aber sie ignorieren diesen Zusammenhang und behaupten, dass diese Limitierung auf 5 Jahre ein Ansporn für den Sozialhilfeempfänger ist, seine Situation zu verbesern. Quasi eine US-Version von Hartz IV.

Was nach den 5 Jahren Sozialhilfe tatsächlich passiert kann man sich unschwer ausmalen. Querschüsse guckt heute auf die Empfänger von Lebensmittelmarken.  Das sind im März 2010 nur schlappe 40.157.395 US-Bürger gewesen, also ein wenig mehr als 40 Millionen.  Bei etwas mehr als 308 Millionen Einwohnern in den USA bedetuet das, dass jeder 7. US-Bürger auf Lebensmittelmarken angewiesen ist. Und das sind dann auch noch die Leute denen es vergleichsweise gut geht:

SNAP spiegelt trotz enormer Steigerungsraten nicht die wirkliche Armut in den USA wider, denn der Zugang zu den SNAP -Hilfen unterliegt strengen Restriktionen. Um in den „Genuss“ der Kreditkarten für Lebensmittelausgaben zu kommen, müssen arbeitsfähige Erwachsene zwischen 16 und 60 Jahren den Nachweis erbringen, dass sie Arbeit suchen und bereit sind bestimmte Arbeiten zu akzeptieren. Die Millionen entmutigten Arbeitnehmer, die aufgegeben haben einen Job zu suchen, fallen wie in der Arbeitslosenstatistik (U-3 komplett und bei der breiter gefassten Arbeitlosenrate U-6 nach einem Monat) auch bei SNAP durchs Netz.

Die Armut in den USA dürfte also noch dramatischer sein. Damit dürfte klar sein, dass Kürzungen bei den Sozialausgaben keine Probleme lösen sondern vielmehr neue Probleme schaffen.

Links für 2010-06-08 (Sparpaket-Special)

Heute ein paar lesenswerte Links die sich mit dem neusten Sparpaket der Regierungskoalition befassen:

  • Die Maske ist gefallen“ – Wolfgang Lieb von den NachDenkSeiten mit seinen Einschätzungen zum Sparpaket.
  • Schwarz-Gelb läßt das Volk bluten“ – Spiegelfechter Jens Berger auf Telepolis mit seiner Analyse des Sparpaketes.
  • Bankrott des Neoliberalismus“ – Weissgarnix mit einer sehr fundierten Analyse und der Erkenntnis, dass wir nach 30 Jahren der Konsolidierung am Abgrund stehen. Einer der besten Artikel zum Sparpaket die ich heute gelesen habe.
  • Auf die Straße“ – Monika Kappus ruft in diesem bei der Frankfurter Rundschau veröffentlichten Kommentar offen zum Widerstand auf der Straße auf.
  • Käßmann ruft zu Widerstand gegen das Sparpaket auf“ – Auch das ehemalige Nachrichtenmagazin berichtet davon, dass der ehemaligen Ratsvorsitzenden der evangelischen Kirche der Kragen platzt und sie offen zum Widerstand aufruft.
  • Gewerkschaften rufen zu Protest auf“ – Auch der Focus weiß zu berichten, dass die Arbeitnehmervertreter mit dem Sparpaket ganz und gar nicht einverstanden sind.
  • Massive Kritik am Sparpaket“ -  Die Augsburger Allgemeine gibt einen Überblick über die kritischen Reaktionen.

Übrigens: In anderen Ländern innerhalb der EU die ähnlich unsoziale Sparpakete beschlossen haben oder beschließen wollen gehen die Leute auf die Straße. Hier in Deutschland werden am kommenden Wochenende Demos in Berlin und Stuttgart unter dem Motto „Wir zahlen nicht für eure Krise“ stattfinden.

Bücherverbrennung im 21. Jahrhundert

Heute meldete der WDR, dass er jetzt mit dem Löschen seines Internetarchives beginnen werde. Der Grund ist nicht etwa dass der Sender kein Geld hätte um dieses Archiv aufrecht zu erhalten. Nein, der Grund liegt darin, dass sich Politiker von den sogenannten Free-TV-Sendern ein Gesetz diktieren ließen das vorschreibt, dass die Verweildauer von Sendungen der ÖR-Sender im Internet nur noch von sehr kurzer Dauer ist.

Nicht, dass ich das hohe Loblied auf die ÖR-Sender singen will, aber unabhängig von der Qualität der Sendungen bereitet es mir massives Unbehagen, wenn die Quantität des Sendungsarchives den wirtschaftlichen Interessen von Privatsendern geopfert wird. Eines Sendungsarchives das der Gebührenzahler ja bereits finanziert hat. Und das geht nun den Bach runter weil die „freien“ Sender sonst ihre Profite bedroht sehen.

Im Informationszeitalter ist das Löschen von Kulturgütern in meinen Augen genauso verwerflich wie die Bücherverbrennung im tausendjährigen Reich. Wer so etwas in Gesetze gießt ist einer unheilvollen Ideologie verfallen, damals war es der Nationalsozialismus, heute ist es wohl der Kapitalismus in seiner Ausprägung Neoliberalismus.

Da bin ich doch froh um die DVB-T-Karte in meinem PC, damit kann ich mein persönliches Archiv (z.B. viele Folgen der „Anstalt“) konservieren.

Nicht die Spekulanten sind schuld

an der Krise des Euro sondern die Schulden. So jedenfalls der Experte Kai Carstensen vom Ifo-Institut der heute in der Augsburger Allgemeine zitiert wird. Eine Begründung dafür hat er auch, die Schulden waren schließlich schon da als die Spekulanten kamen.

Transportieren wir diese bestechende Logik doch mal auf ein anderes Szenario. Wenn ich an einer Tankstelle mit einem Flammenwerfer aufkreuze und damit Unsinn mache, dann besteht durchaus die Wahrscheinlichkeit, dass die Kombination aus Tankstelle und Flammenwerfe in die Luft fliegt. Aber natürlich ist dann die Tankstelle daran schuld, die war ja vorher schon da und ich mit meinem Flammenwerfer bin total unschuldig.

Na ja, von einem „Experten“ der vom Ifo-Institut bezahlt wird habe ich auch keine wirklichen Argumente erwartet.

Jeder Deutsche bürgt mit 275 Euro für Griechenland

Das war heute der Aufmacher in unserer Zeitung. Und damit reiht sich die Augsburger Allgemeine in beschämender Weise in die Reihe derer ein, die statt einer ausgewogenen Berichterstattung über die Krise lieber nach dem Motto „immer feste drauf“ an der Hetzkampagne gegen Griechenland mitmachen.

Was sind schon 275 Euro Bürgschaft im Vergleich zu den etwas mehr als 6000 Euro Bürgschaft die uns aufgebürdet wurde als man sich neulich anschickte die Banken zu retten? Peanuts, nichts als Peanuts. Aber das verschweigt die Mainstream-Presse lieber also muss man sich wieder im Internet informieren.

Den aktuell besten Artikel über den Krisenmythos Griechenland und die Ursachen der Krise hatte heute Telepolis. Der Spiegelfechter schrieb bereits gestern, dass man nun die Schock-Strateie für Griechenland anwenden will, also die komplette neoliberale Palette ausschöpft und so das Problem eher vergrößert als löst. Freeman auf „Alles Schall und Rauch“ listet heute auch die noch schärferen Sparmaßnahmen für Griechenland auf: Löhne runter, Verbrauchssteuern rauf. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die reiche Elite in Griechenland von Steuern weiterhin verschont bleibt, die Zeche zahlt also auch in Griechenland der kleine Mann.

Da diese Maßnahmen vom IWF diktiert werden stellen die NachDenkSeiten dann auch die Frage, ob dieses Maßnahmenpaket irgend eine demokratische Legitimation hat. Der Beschluß im Bundestag wurde ja ebenfalls im Eiltempo durchgepeitscht obwohl genau solch ein Gesetz eigentlich hätte viel ausführlicher disktuiert werden müssen. Symptomatisch allerdings für die ignorante Merkel-Regierung die dann eben wieder panikartik reagiert statt klug zu agieren.

Natürlich sieht jeder halbwegs vernünftige Mensch, dass der Maßnahmenkatalog den man jetzt gegen Griechenland anwenden will bestenfalls geeignet ist, die Armut im Land zu vergrößern und das Land noch tiefer in den Dreck zu ziehen. Radio Utopie hat daher heute einen Hinweis auf das kommende Destaster veröffentlicht, eine Erklärung von Mikis Theodorakis.

All das sind Informationen die man in der Tagespresse leider nicht findet.  Da wundert es dann auch nicht, wenn  Michalis Pantelouris in seinem „Print würgt“-Blog fragt: „Interessiert eigentlich jemanden, was in Griechenland wirklich passiert?

Wenn man sich die Schlagzeilen der letzten Tage ansieht, dann eher nicht. Ein sachliches Auseinandersetzen mit der Krise bringt ja auch weniger Leser als reißerische Schlagzeilen der Springer-Presse wie „Warum sollen wir die Luxus-Renten der Griechen zahlen?“. Manchmal schäme ich mich wirklich für die sogenannte „freie Presse“ in unserem Land.

Die Irrtümer des Professors Heinsohn

Gestern abend las ich über den Gastbeitrag des Professors Heinsohn in der FAZ und ich war zutiefst erschüttert, dass ein Soziologe so etwas schreibt. Heute nacht habe ich trotz Aufmunterung durch die Anstalt im ZDF sehr schlecht geschlafen und mein Blutdruck war heute morgen im suboptimalen Bereich. Trotzdem fühle ich die Verpflichtung mich nochmals mit dem Geschreibsel des Herrn Professors zu befassen und seinen seltsamen Aussagen die notwendigen Argumente entgegenzusetzen. Ich will dabei versuchen, so sachlich wie möglich zu bleiben, auch wenn mein Zorn angesichts dieses Beitrages immer noch kocht.

Beginnen tut der Profesor mit einem Schreckenszenario in dem er von 100 notwendigen Geburten erzählt die nur zu 65 Prozent überhaupt gemacht werden. Und dass 15 dieser Kinder dann nicht „ausbildungsreif“ sind, 10 das Land verlassen und die 40 erforderlichen Nachwuchskräfte entmutigt werden in Deutschland zu bleiben. Und dann schwingt der Professor sich zum Propheten auf:

Im Jahr 2060 wird es statt heute 81 nur noch 65 Millionen Menschen in Deutschland geben; das Durchschnittsalter steigt von 44 auf 54 Jahre. Nach realistischen Szenarien werden 2060 nur noch 30 Millionen Menschen im Alter zwischen 24 und 65 Jahren stehen. Diese müssen 22 Millionen Alte sowie 13 Millionen Junge versorgen. Selbst wenn alle Bürger im erwerbsfähigen Alter arbeiten würden, müssten dann 100 Verdiener für knapp 120 Nichtverdiener aufkommen.

An dieser Stelle frage ich mich dann, welche magische Glaskugel der Professor hat um 50 Jahre in die Zukunft zu sehen. 50 Jahre sind verdammt viel, ich selbst war vor 50 Jahren noch nicht mal in der Planung bei meinen Eltern und wenn wir nur mal überlegen, was die Experten noch vor einem Jahr für Schreckenszenarios über die Schweinegrippe an die Wand malten und was dann tatsächlich passiert ist, dann erscheinen Prognosen wie die Zustände in 50 Jahren sein werden als reine Phantasiegebilde. Wenn es um solche Vorhersagen geht, dann fällt mir immer Volker Pispers ein (Video, ab 5:15 genau hingucken).

Weiter im Text. Der Professor prognostiziert dann munter weiter und sieht eine demographische Zukunft nur bei den „Bildungsfernen“ die er dann auch direkt mit Hartz-IV assoziiert. Und schon guckt er wieder in seine Glaskugel:

Deshalb steht zu befürchten, dass in einigen Jahrzehnten weit mehr als ein Viertel der Menschen in eine Hightech-Gesellschaft mit ihren hohen Qualifikationsanforderungen nicht passt.

Hier wird also ein Zusammenhang zwischen Hartz-IV und dem Nichterfüllen von hohen Qualitätsanforderungen definiert, den ich so nicht nachvollziehen kann. Ich selbst bin auch ein „Arbeiterkind“ und in der 7. Klasse Gymnasium wurde mir damals von den Pädagogen prognostiziert, dass ich „zu blöd für die Hilfschule“ wäre und das Jahreszeugnis das ich damals bekam reichte für drei mal Durchfallen. Trotzdem bin ich heute hochbezahlter Computerspezialist und erfülle wohl die hohen Qualitätsanforderungen der Hightech-Gesellschaft.

Kinder bereits während ihrer Kindheit als „bildungsfern“ und „erfüllt später nicht die Qualitätsanforderungen“ abzustempeln so wie es der Professor hier tut entspricht keineswegs dem Grundgedanken den die Verfasser unseres Grundgesetzes vor mehr als 60 Jahren in Artikel 3 geschrieben haben:

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Und jetzt kommt dieser Herr daher und maßt sich an, Kinder allein aufgrund ihrer Herkunft (in Hartz-IV-Familien) zu diskriminieren.

Und weil unser eigener Nachwuchs ja so dämlich ist schlägt der Professor dann die qualifizierte Einwanderung von „skilled immigrants“ vor. Dann merkt er aber, dass die Kinder mit Migrationshintergrund es mit dem deutschen Bildungssystem wohl sehr schwer haben und analysiert auch ganz flugs die Ursache für dieses Problem:

Deutschland rekrutiert seine Einwanderer vorrangig nicht aus Eliten, sondern aus den Niedrigleistern des Auslands, weshalb man eben nur etwa 5 Prozent qualifizierte Einwanderer gewinnt. Und deren Nachwuchs schleppt die Bildungsschwäche weiter.

Tja, dumm gelaufen. Aber anstatt über das „schlechte Material“ zu mosern könnte man ja auch mal überlegen, welche Maßnahmen es braucht um diesen Leuten tatsächlich zu helfen. Aber von solchen sozialpolitischen Überlegungen ist der Herr Soziologe natürlich meilenweit entfernt.Statt dessen kritisiert er die deutsche Politik:

Die deutsche politische Führung scheint fest entschlossen, weiter auf dem erfolglosen, immer teurer werdenden Weg der verfehlten Einwanderungs- und Sozialpolitik zu gehen.

Dann beschreibt er die Studien eines amerikanischen Politologen der sagt, „Mehr Geld vermehrt Armut“. Viel besser wäre es den amerikanischen Weg zu gehen, also die Sozialhilfe auf 5 Jahre zu begrenzen. Und am Beispiel USA dann ein paar Zahlen:

Bezogen vor der Reform 12,2 Millionen amerikanische Bürger Sozialhilfe, so waren es 2005 nur noch 4,5 Millionen. Die Frauen der Unterschicht betrieben nun Geburtenkontrolle. So sank die Zahl der „welfare mothers“ drastisch, ebenso die Kriminalität der Söhne dieses Milieus.

Man beachte: Diese Zahlen beschreiben die sinkende Anzahl der Sozialhilfeempfänger was bei einer zeitlichen Limitierung der Sozialhilfe mathematisch einfach die Schlußfolgerung ist: Irgendwann fallen genügend aus der Sozialhilfe raus. Ob diese per Formel entsorgten „Karteileichen“ dann tatsächlich genügend zum Leben haben oder eher nicht wird hier nicht untersucht! So berichtet die Berliner Umschau vom 10. März dass im Dezember 2009 insgesammt 39 Millionen Amerikaner Lebensmittelmarken erhielten.

Nun schwenkt der Professor zurück nach Deutschland. 1,7 Millionen Kinder leben von Sozialhilfe, also sozusagen 20% der Babies sind von Steuergeldern finanziert. Ja, das ist ein Armutszeugnis für unser Land, aber es ist wohl nicht die Schuld der Kinder, dass ihre Eltern nicht genügend Geld verdienen um ohne Sozialhilfe überleben zu können.

Dann geht der Professor wieder auf Bildzeitungsniveau runter:

Solange die Regierung das Recht auf Kinder als Recht auf beliebig viel öffentlich zu finanzierenden Nachwuchs auslegt, werden Frauen der Unterschicht ihre Schwangerschaften als Kapital ansehen.

Vielleicht sollte sich der Herr Professor einmal den Artikel 6 Grundgesetz zu Gemüte führen:

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

Es ist also keine „Auslegungssache der Regierung“ sondern eines der Grundrechte auf denen dieser Staat basiert. Weiter geht es mit dem neoliberalen Reformprogramm des Professors:

Allein eine Reform hin zu einer Sozialnotversicherung mit einer Begrenzung der Auszahlungen auf fünf Jahre statt lebenslanger Alimentierung würde wirken – nicht anders als in Amerika.

Man beachte das „Allein“, auch bekannt als TINA (There Is No Alternative). Ja, es würde wirken und sicher nicht anders als in Amerika. Also statt lebenslang Hartz IV nur noch 5 Jahre Sozialhilfe und dann drucken wir halt auch wieder Lebensmittelmarken und die Caritas darf in jedem Stadtteil Suppenküchen öffnen um die Armen die dann auch in keiner Statistik mehr geführt werden zu verköstigen.

Eine solche Umwandlung des Sozialstaats würde auch die Einwanderung in die Transfersysteme beenden. Deutschland könnte dann im Wettbewerb um ausländische Talente mitspielen, um seinen demographischen Niedergang zu bremsen.

Jetzt kommt wieder die Keule mit dem demographischen Niedergang der ja nur aufzuhalten sei wenn Deutschland „skilled immigrants“ bekommen würde statt weiterer Empfänger von Sozialhilfe. Die Frage die sich der Professor hier stellen sollte wäre aber, ob jemand in ein Land einwandern will in dem ein signifikanter Prozentsatz der Bevölkerung arm ist und ohne staatliche Hilfe und Fürsorge dasteht. Ein Land in dem die sozialen Spannungen aufgrund des Ungleichgewichtes extrem sind und sich durchaus auch explosionsartig entladen können.

Nein Herr Professor. Wir brauchen keine weitere Beschneidung der Sozialsysteme sondern vielmehr ein System in dem Kinder nicht schon vor Schulbeginn als „nicht ausbildungsfähig“ klassifiziert werden sondern eher die notwendige Förderung erhalten um trotz ungünstiger Startposition im Leben trotzdem einen Erfolg zu haben.

Und nebenbei bemerkt, der Wert eines Menschen bemisst sich nicht daran, ob dieser zu den sogenannten Leistungsträgern gehört nicht. Auch das haben die Verfasser des Grundgesetzes schon gewusst als sie Artikel 1 niederschrieben:

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

Aber das wird ein Professor Heinsohn in seiner Ideologie wohl nicht verstehen…

Godwins Law auf dem Nockherberg

Auch beim „Derblecken“ auf dem Nockherberg kommt Godwins Law zum Einsatz:

Mit zunehmender Länge einer Online-Diskussion nähert sich die Wahrscheinlichkeit für einen Vergleich mit Hitler oder den Nazis dem Wert Eins an.

Nachdem Fastenprediger Michael Lerchenberg die Situation der Hartz-IV-Empfänger satirisch aufarbeitete hagelte es ob dieses Nazi-Vergleiches massive Proteste. Ich persönlich mußte allerdings herzhaft lachen als ich die folgenden Worte im Radio hörte:

Westerwelle wolle alle „Hartz IV“-Empfänger in einem mit Stacheldraht umgebenen Lager in Ostdeutschland sammeln. Über dem Eingang, „bewacht von neoliberalen Ichlingen im Gelbhemd, steht in eisernen Lettern: Leistung muss sich wieder lohnen“.

Sofort wurde die Erinnerung an den Spruch „Arbeit macht frei“ aus unserer unseligen Vergangenheit wach und man empöte sich. Besonders Westerwelle war massiv empört, dass er mit KZ-Wächtern verglichen wird. Auch die Präsidentin des Zentralrates der Juden zeigte sich empört, denn natürlich sind solche Vergleiche nicht zulässig.

Tatsächlich? Wenn wir doch bei jeder sich bietenden Gelegenheit den Neonazis entgegentreten und zum Volkstrauertag immer schwadronieren, dass sich die dunklen Epochen unserer Geschichte nicht wiederholen dürfen ist es meiner Meinung nach sogar verpflichtend, regelmäßig den aktuellen Status zu überprüfen um zu sehen, wohin wir uns entwickeln. 65 Jahre nach dem zweiten Weltkrieg sind die meisten Zeitzeugen des dritten Reiches tot oder sehr alt. Meine Eltern erlebten diese Zeit als junge Menschen und konnten mir vor ihrem Tod viel davon berichten.

Und wer heute der Generation von damals vorwirft nichts gegen diese Entwicklung damals getan zu haben darf heute niemanden einen Vorwurf machen, wenn er die damaligen Vorgänge als Meßlatte für das hernimmt, was aktuell in diesem Land passiert.

Ja, ich weiß, was in den KZs passiert ist war so grausam und abscheulich, dass man es sich nicht ausmalen kann. Trotzdem muss ich als freiheitsliebender Mensch die Frage stellen, was denn nun der große Unterschied zu den Folterlagern im Irak oder Guantanamo Bay ist.

Klar, die Hartz-IV-Empfänger werden nicht in einem Lager gehalten, denn so große Lager sind kaum zu realisieren. Also schafft man Ghettos in die die Gestrandeten in unserer Gesellschaft abgeschoben werden, die freie Wahl der Wohnung funktioniert ja nur, wenn man es sich leisten kann. Wer seine Miete von der Arge bekommt hat diese Wahl oft nicht.

Und was das Thema Zwangsarbeit angeht, eigentlich schützt uns Artikel 12 des Grundgesetzes vor dieser:

(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.

Trotzdem diskutiert der Herr Westerwelle ganz ungeniert, dass die Empfänger von Sozialleistungen doch zum Schneeschippen eingesetzt werden sollen, denn natürlich kann man das erwarten. Wird Schneeschippen also eine für alle gleiche öffentliche Dienstleistungspflicht? Wann sehen wir die Bundestagsabgeordneten beim Schneeschippen?

Wobei dieser an den Reichsarbeitsdienst erinnernde Vorschlag ja noch gar nicht das Schlimmste ist. Viel Schlimmer ist, dass jeder „Leistungsverweigerer“ von Sanktionen bedroht wird und somit tatsächlich ein Zwang ausgeübt wird, auch Arbeitsstellen anzunehmen in denen der Hartz-IV-Empfänger seine Arbeitskraft weit unter ihrem wirklichen Wert „anbieten“ muss. Der Arbeitsmarkt ist kein Markt mehr sondern der Staat bestimmt, dass man notfalls eben auch für einen Euro arbeiten muss. Ein eigentlich nicht hinzunehmender Eingriff in die Tarifautonomie die es jedem Arbeitssuchenden erlauben sollte, seine Arbeitskraft zu angemessenen Preisen auf dem Arbeitsmarkt anzubieten.

Ja Herr Westerwelle, es ist schon blöd, wenn das eigene dumme Geschwätz an der Messlatte der Vergangenheit gemessen wird und man erschreckt feststellen muss, dass da gar nicht mehr soviel Unterschied ist. Und weil man ja so massive Probleme mit der Kritik an seinen Handlungen hat freut man sich dann natürlich wenn man folgendes liest:

Der Bayerische Rundfunk schneidet in der heutigen zweiten Ausstrahlung die Passage mit dem umstrittenen KZ-Vergleich aus der Nockherberg-Übertragung. „Wir mussten die Sendung ohnehin kürzen, da lag es nahe die Passagen rauszulassen“, sagte BR-Sprecher Detlef Klusak.

Ach wie praktisch. Gleich mal die unliebsame Kritik entfernen, denn natürlich hat das ja schon jeder gesehen und es ist ja auch im Internet. Trotzdem erinnert dieser Vorgang an die legendäre Zwangsabschaltung des „Scheibenwischer“ am 22. Mai 1986 durch den Bayerischen Rundfunk.

Ja, es ist schon schön bestellt um unsere Medienlandschaft. Guckt man das Video bei Youtube an, dann hört man den Fastenprediger von „neoliberalen Ichlingen“ reden, in der Zeitung wandelte sich das „neoliberale“ in „junglieberale“. Offensichtlich eine selektive Wahrnehmung um das Wort „neoliberal“ zu vermeiden.

Nachdem sich der Zorn der Regierenden über den angestellten Hofnarren entladen hat tritt dieser ab:

Nach der öffentlichen Empörung über seinen KZ-Vergleich in der diesjährigen Nockherberg-Rede ist der Fastenprediger Michael Lerchenberg von seiner Rolle zurückgetreten.

Da können wir mal gespannt sein, wer im nächsten Jahr die Rolle des Fastenpredigers übernehmen wird. Django Asül ist ja schon in Ungnade gefallen, nun Michael Lerchenberg und wir beten zu Gott, dass er uns vor Matthias Richling in der Rolle des Bruder Barnabas veschonen möge.

Vielleicht wird ja irgendwann mal eingeführt, dass die Festrede dann erst mal vorab auf „political correctness“ überprüft und „freigegeben“ wird. Spätestens dann wäre aber wieder ein Vergleich mit der dunklen deutschen Geschichte fällig…

Lästerwelle hetzt weiter gegen den Sozialstaat

Unser Außenminister und Vizekanzler legt weiter nach im Streit um Hartz IV und seine Äußerungen von der vergangenen Woche. Die Augsburger Allgemeine schreibt:

Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle lässt in der Debatte um die Hartz-IV-Leistungen nicht locker und sorgt mit scharfen Äußerungen weiter für Wirbel. Am Wochenende bekräftigte der Vizekanzler seinen Vorwurf, diejenigen, die arbeiten, würden «mehr und mehr zu den Deppen der Nation».

Und unser neuer Inneminister Thomas de Maizière haut in eine ähnliche Kerbe.

«Was wir brauchen, ist eine neue Aufstiegsmentalität, sonst wird die Solidarität der Steuer- und Abgabenzahler zerstört, die das System finanzieren»

Da fallen mir doch gleich zwei Sachen ein. Zum einen ist diese Befürchtung des Innenministers absolut gegenstandslos, denn die Solidarität die er hier erwähnt ist staatlich verordnet. Würde ich mich diesem Zwang zur Solidarität entziehen, dann wäre mein Name wohl auch auf der CD die gerade von einem Schweizer der Regierung angeboten wird. Es ist ja keineswegs so, dass ich beim Entrichten meiner Steuern sagen könnte, wofür ich gerne meinen solidarischen Beitrag leiste und der Verwendung meiner Gelder für andere Dinge widersprechen könnte.

Diese Unmöglichkeit, über die Verwendung meiner Steuergelder zu bestimmen führt dann auch dazu, dass ich micr manchmal vorkomme wie der Depp der Nation. Aber das liegt nicht daran, dass mit meinen Sozialbeiträgen und Steuern das Überleben derer finanziert wird die von unserem System als „wirtschaftlich nutzlos“ ausgemustert wurden, sondern eher daran, dass noch viel mehr Steuergelder für fragwürdige Dinge wie den Kriegseinsatz in Afghanistan oder gar die Rettung von notleidenden Banken eingesetzt werden. Oder auch, dass mit den Steuergeldern die Diäten der Politiker finanziert werden die sich regelmäßig eine Erhöhung gönnen, denn die Dampfplauderei in der Politik ist natürlich nur was für Leistungsträger. Ich würde den Politikern einfach mal nahelegen, es 3 Monate mit dem von ihnen festgelegten Betrag für ALG II zu probieren. Drei Monate kann man schon mal gucken wie ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung leben muss. Und immerhin hat man ja die Gewissheit, dass man nach drei Monaten wieder aussteigen kann, ein Hartz IV Empfänger hat diese Option leider nicht. Für den kann dieser Zustand durchaus „lebenslänglich“ bedeuten.

Eine sehr gute Analyse des Problemfalles HartzIV gab es diese Woche auf Telepolis unter dem Titel „Hartz IV und der hausgemachte Niedriglohnsektor„. Dem kann ich eigentlich nichts mehr hinzufügen.