Die Irrtümer des Professors Heinsohn

Gestern abend las ich über den Gastbeitrag des Professors Heinsohn in der FAZ und ich war zutiefst erschüttert, dass ein Soziologe so etwas schreibt. Heute nacht habe ich trotz Aufmunterung durch die Anstalt im ZDF sehr schlecht geschlafen und mein Blutdruck war heute morgen im suboptimalen Bereich. Trotzdem fühle ich die Verpflichtung mich nochmals mit dem Geschreibsel des Herrn Professors zu befassen und seinen seltsamen Aussagen die notwendigen Argumente entgegenzusetzen. Ich will dabei versuchen, so sachlich wie möglich zu bleiben, auch wenn mein Zorn angesichts dieses Beitrages immer noch kocht.

Beginnen tut der Profesor mit einem Schreckenszenario in dem er von 100 notwendigen Geburten erzählt die nur zu 65 Prozent überhaupt gemacht werden. Und dass 15 dieser Kinder dann nicht „ausbildungsreif“ sind, 10 das Land verlassen und die 40 erforderlichen Nachwuchskräfte entmutigt werden in Deutschland zu bleiben. Und dann schwingt der Professor sich zum Propheten auf:

Im Jahr 2060 wird es statt heute 81 nur noch 65 Millionen Menschen in Deutschland geben; das Durchschnittsalter steigt von 44 auf 54 Jahre. Nach realistischen Szenarien werden 2060 nur noch 30 Millionen Menschen im Alter zwischen 24 und 65 Jahren stehen. Diese müssen 22 Millionen Alte sowie 13 Millionen Junge versorgen. Selbst wenn alle Bürger im erwerbsfähigen Alter arbeiten würden, müssten dann 100 Verdiener für knapp 120 Nichtverdiener aufkommen.

An dieser Stelle frage ich mich dann, welche magische Glaskugel der Professor hat um 50 Jahre in die Zukunft zu sehen. 50 Jahre sind verdammt viel, ich selbst war vor 50 Jahren noch nicht mal in der Planung bei meinen Eltern und wenn wir nur mal überlegen, was die Experten noch vor einem Jahr für Schreckenszenarios über die Schweinegrippe an die Wand malten und was dann tatsächlich passiert ist, dann erscheinen Prognosen wie die Zustände in 50 Jahren sein werden als reine Phantasiegebilde. Wenn es um solche Vorhersagen geht, dann fällt mir immer Volker Pispers ein (Video, ab 5:15 genau hingucken).

Weiter im Text. Der Professor prognostiziert dann munter weiter und sieht eine demographische Zukunft nur bei den „Bildungsfernen“ die er dann auch direkt mit Hartz-IV assoziiert. Und schon guckt er wieder in seine Glaskugel:

Deshalb steht zu befürchten, dass in einigen Jahrzehnten weit mehr als ein Viertel der Menschen in eine Hightech-Gesellschaft mit ihren hohen Qualifikationsanforderungen nicht passt.

Hier wird also ein Zusammenhang zwischen Hartz-IV und dem Nichterfüllen von hohen Qualitätsanforderungen definiert, den ich so nicht nachvollziehen kann. Ich selbst bin auch ein „Arbeiterkind“ und in der 7. Klasse Gymnasium wurde mir damals von den Pädagogen prognostiziert, dass ich „zu blöd für die Hilfschule“ wäre und das Jahreszeugnis das ich damals bekam reichte für drei mal Durchfallen. Trotzdem bin ich heute hochbezahlter Computerspezialist und erfülle wohl die hohen Qualitätsanforderungen der Hightech-Gesellschaft.

Kinder bereits während ihrer Kindheit als „bildungsfern“ und „erfüllt später nicht die Qualitätsanforderungen“ abzustempeln so wie es der Professor hier tut entspricht keineswegs dem Grundgedanken den die Verfasser unseres Grundgesetzes vor mehr als 60 Jahren in Artikel 3 geschrieben haben:

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Und jetzt kommt dieser Herr daher und maßt sich an, Kinder allein aufgrund ihrer Herkunft (in Hartz-IV-Familien) zu diskriminieren.

Und weil unser eigener Nachwuchs ja so dämlich ist schlägt der Professor dann die qualifizierte Einwanderung von „skilled immigrants“ vor. Dann merkt er aber, dass die Kinder mit Migrationshintergrund es mit dem deutschen Bildungssystem wohl sehr schwer haben und analysiert auch ganz flugs die Ursache für dieses Problem:

Deutschland rekrutiert seine Einwanderer vorrangig nicht aus Eliten, sondern aus den Niedrigleistern des Auslands, weshalb man eben nur etwa 5 Prozent qualifizierte Einwanderer gewinnt. Und deren Nachwuchs schleppt die Bildungsschwäche weiter.

Tja, dumm gelaufen. Aber anstatt über das „schlechte Material“ zu mosern könnte man ja auch mal überlegen, welche Maßnahmen es braucht um diesen Leuten tatsächlich zu helfen. Aber von solchen sozialpolitischen Überlegungen ist der Herr Soziologe natürlich meilenweit entfernt.Statt dessen kritisiert er die deutsche Politik:

Die deutsche politische Führung scheint fest entschlossen, weiter auf dem erfolglosen, immer teurer werdenden Weg der verfehlten Einwanderungs- und Sozialpolitik zu gehen.

Dann beschreibt er die Studien eines amerikanischen Politologen der sagt, „Mehr Geld vermehrt Armut“. Viel besser wäre es den amerikanischen Weg zu gehen, also die Sozialhilfe auf 5 Jahre zu begrenzen. Und am Beispiel USA dann ein paar Zahlen:

Bezogen vor der Reform 12,2 Millionen amerikanische Bürger Sozialhilfe, so waren es 2005 nur noch 4,5 Millionen. Die Frauen der Unterschicht betrieben nun Geburtenkontrolle. So sank die Zahl der „welfare mothers“ drastisch, ebenso die Kriminalität der Söhne dieses Milieus.

Man beachte: Diese Zahlen beschreiben die sinkende Anzahl der Sozialhilfeempfänger was bei einer zeitlichen Limitierung der Sozialhilfe mathematisch einfach die Schlußfolgerung ist: Irgendwann fallen genügend aus der Sozialhilfe raus. Ob diese per Formel entsorgten „Karteileichen“ dann tatsächlich genügend zum Leben haben oder eher nicht wird hier nicht untersucht! So berichtet die Berliner Umschau vom 10. März dass im Dezember 2009 insgesammt 39 Millionen Amerikaner Lebensmittelmarken erhielten.

Nun schwenkt der Professor zurück nach Deutschland. 1,7 Millionen Kinder leben von Sozialhilfe, also sozusagen 20% der Babies sind von Steuergeldern finanziert. Ja, das ist ein Armutszeugnis für unser Land, aber es ist wohl nicht die Schuld der Kinder, dass ihre Eltern nicht genügend Geld verdienen um ohne Sozialhilfe überleben zu können.

Dann geht der Professor wieder auf Bildzeitungsniveau runter:

Solange die Regierung das Recht auf Kinder als Recht auf beliebig viel öffentlich zu finanzierenden Nachwuchs auslegt, werden Frauen der Unterschicht ihre Schwangerschaften als Kapital ansehen.

Vielleicht sollte sich der Herr Professor einmal den Artikel 6 Grundgesetz zu Gemüte führen:

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

Es ist also keine „Auslegungssache der Regierung“ sondern eines der Grundrechte auf denen dieser Staat basiert. Weiter geht es mit dem neoliberalen Reformprogramm des Professors:

Allein eine Reform hin zu einer Sozialnotversicherung mit einer Begrenzung der Auszahlungen auf fünf Jahre statt lebenslanger Alimentierung würde wirken – nicht anders als in Amerika.

Man beachte das „Allein“, auch bekannt als TINA (There Is No Alternative). Ja, es würde wirken und sicher nicht anders als in Amerika. Also statt lebenslang Hartz IV nur noch 5 Jahre Sozialhilfe und dann drucken wir halt auch wieder Lebensmittelmarken und die Caritas darf in jedem Stadtteil Suppenküchen öffnen um die Armen die dann auch in keiner Statistik mehr geführt werden zu verköstigen.

Eine solche Umwandlung des Sozialstaats würde auch die Einwanderung in die Transfersysteme beenden. Deutschland könnte dann im Wettbewerb um ausländische Talente mitspielen, um seinen demographischen Niedergang zu bremsen.

Jetzt kommt wieder die Keule mit dem demographischen Niedergang der ja nur aufzuhalten sei wenn Deutschland „skilled immigrants“ bekommen würde statt weiterer Empfänger von Sozialhilfe. Die Frage die sich der Professor hier stellen sollte wäre aber, ob jemand in ein Land einwandern will in dem ein signifikanter Prozentsatz der Bevölkerung arm ist und ohne staatliche Hilfe und Fürsorge dasteht. Ein Land in dem die sozialen Spannungen aufgrund des Ungleichgewichtes extrem sind und sich durchaus auch explosionsartig entladen können.

Nein Herr Professor. Wir brauchen keine weitere Beschneidung der Sozialsysteme sondern vielmehr ein System in dem Kinder nicht schon vor Schulbeginn als „nicht ausbildungsfähig“ klassifiziert werden sondern eher die notwendige Förderung erhalten um trotz ungünstiger Startposition im Leben trotzdem einen Erfolg zu haben.

Und nebenbei bemerkt, der Wert eines Menschen bemisst sich nicht daran, ob dieser zu den sogenannten Leistungsträgern gehört nicht. Auch das haben die Verfasser des Grundgesetzes schon gewusst als sie Artikel 1 niederschrieben:

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

Aber das wird ein Professor Heinsohn in seiner Ideologie wohl nicht verstehen…