Armutsdiskussion

Das Ende des Generationenvertrags

Hier muss ich mich selbst an die Nase fassen. Ich kann mich noch sehr gut erinnern wie das damals bei mir war. Viele Jahre habe ich mich kaum für Politik interessiert und zum Thema Rente haben wir in der Schule irgendwann mal was von einem „Generationenvertrag“ gehört der besagt, dass die Jungen eben die Rente der Alten finanzieren müssen.

Dann kam der Bundeskanzler Schröder und erzählte, dass wir ein demographisches Problem hätten, es würde im Alter wohl enger werden und man müsse privat vorsorgen weil die staatliche Rente das allein nicht stemmen kann. Zum Glück hat die Regierung in weiser Voraussicht dieses Zukunftsproblem erkannt und dank Arbeitsminister Walter Riester auch gleich die Abhilfe gefunden, man schließt einen Riester-Vertrag ab und zahlt in die private kaptialgedeckelte Altersvorsorge ein und dann ist alles wieder paletti.

Was wurden wir doch verraten und verkauft. Schröder warf uns Besserverdienende den Versicherungsunternehmen zum Fraß vor, die damals noch wenigen Geringverdiener konnten sich eh kein Riestern leisten und so boomte das Geschäft mit der privaten Altersvorsorge. Die Versicherungen bekamen viel Geld und mussten erst mal wenig dafür tun. Gleichzeitig wurde mit Peter Hartz auch an der Arbeitslosenversicherung und der Sozialhilfe geschraubt, das Ergebnis kennen wir heute. Ein boomender Niedriglohnsektor, viele Menschen deren Existenz vernichtet wurde und jede Menge Armut. Und die unterschwellige Drohung, dass man sich doch gefälligst in Lohnzurückhaltung zu üben habe, denn da draußen warten genügend die für weniger den Job machen.

An dieser Stelle frage ich mich dann, ob die Flaschensammler von den Mächtigen ebenso instumentalisiert werden um die Menschen weiterhin in private Altersvorsorge zu drängen.

Das Problem ist, dass mit der Privatisierung der Altersvorsorge das eigentlich intakte Rentensystem das wir mal hatten systematisch kaputt gemacht wurde. Norbert Blüm sagte dereinst „Die Rente ist sicher“ und zu dieser Zeit war sie es auch. Mit Riester wurde der Rentenbeitrag gesenkt, es kam also weniger Geld in die Rentenkassen und wer einen Riester-Vertrag abgeschlossen hat, der steckte das Geld welches der gesetzlichen Rente vorenthalten wurde nun eben in seine private Altersvorsorge. Für ihn ein Nullsummenspiel, für die existeierenden Rentner ein Problem wegen der sinkenden Einnahmen der Rentenversicherung, für die Riester-Anbieter ein toller Profit.

Warum die private Rente ein Verlustgeschäft ist kann man eigentlich am einfachsten verstehen, wenn man ein paar ökonomische Grundlagen kennt. Ich selbst muss aber gestehen, dass ich mehr als 40 Jahre meines Lebens auch nur das Thema „Generationenvertrag“ kannte und in der Schule eher die betriebswirtschaftliche Lehre mit Profitdenken und Rendite hochgehalten wurde. Dabei ist der fundamentale Lehrsatz der dem Rentenmodell zugrundeliegt sehr simpel. Er wurde von Gerhard Mackenroth wie folgt formuliert:

Nun gilt der einfache und klare Satz, daß aller Sozialaufwand immer aus dem Volkseinkommen der laufenden Periode gedeckt werden muß. Es gibt gar keine andere Quelle und hat nie eine andere Quelle gegeben, aus der Sozialaufwand fließen könnte, es gibt keine Ansammlung von Periode zu Periode, kein ‚Sparen‘ im privatwirtschaftlichen Sinne, es gibt einfach gar nichts anderes als das laufende Volkseinkommen als Quelle für den Sozialaufwand … Kapitalansammlungsverfahren und Umlageverfahren sind also der Sache nach gar nicht wesentlich verschieden. Volkswirtschaftlich gibt es immer nur ein Umlageverfahren.

Einfach ausgedrückt bedeutet es, dass der Anteil der Bevölkerung der kein Geld verdient eben von dem Teil der Bevölkerung der über Einkommen verfügt mitfinanziert wird.

Diese simple Formel ist für das Verständnis des Rentensystems mindestens genauso wichtig wie Einsteins E=mc² es für die Physik ist. Aber ich halte jede Wette, dass weitaus mehr Leute die man z.B. zufällig in der Fußgängerzone nach beiden Begriffen befragen würde Einsteins Formel zumindest kennen und bei Mackenroth keinen blassen Schimmer haben.

Dabei passt Mackenroths Theorem perfekt. Es beschreibt sehr schön, dass es in einer Gesellschaft eben Mitglieder gibt, die aktuell für sich sorgen können und welche die das nicht können und daher von den anderen mitgetragen werden, zumindest wenn diese Gesellschaft solidarisch funktioniert. Das dürfte sogar schon bei den Neandertalern funktioniert haben, die einen gingen zum Jagen (Versorgung mit Nahrung) und die, die nicht jagten wurden von ihnen miternährt.

Und Mackenroths Theorem passt nicht nur für den Generationenvertrag für die Rente. Es passt genauso gut für Eltern und Kinder. Meine beiden Kinder kosten jeden Monat einen Haufen Geld und diese Kosten werden von den Eltern übernommen, da die Kinder eben noch kein Einkommen haben. Und hier beschwert sich kaum einer und sagt „Die Kinder kosten uns zuviel“, das fällt wohl noch unter die genetisch verwurzelte Brutpflege und wird daher nicht diskutiert. Wendet man Mackenroth aber als Begründung für die Rente an, dann jammert der Mainstream vom demographischen Wandel und dass wir uns die Alten nicht mehr leisten können.

Natürlich werden jetzt die neoliberalen Mietmäuler trotz allem die Vorteile der privaten Lebensversicherung anpreisen, aber auch sie unterliegt gnadenlos dem Mackenroth-Theorem. Die NachDenkSeiten haben hierzu einen schönen Foliensatz der das Thema sehr überzeugend erklärt. Vor allem sollte man nicht dem Irrglauben verfallen, dass die privaten Versicherer das Geld ja „anlegen“ und es daher „arbeitet“ und Rendite abwirft. Geld arbeitet nicht, zumindest habe ich es noch nie dabei erwischt. Die Rendite in Form von Zinsen die an Kapitalgeber ausgeschüttet wird muss immer von einem Kreditnehmer erarbeitet werden.

Nächste Seite: Wie müsste das Problem angegangen werden?

5 Gedanken zu „Armutsdiskussion

  1. Pingback: Pfandgeld | juna im netz

  2. Danke für die vielen Hintergründe und den sehr differenzierten Text, den Du hier online stellst. Vieles davon war für mich neu. Einiges, worüber ich noch nicht nachgedacht habe.
    Daher möchte ich nur auf einen Aspekt eingehen, der auch bereits unter meinem Blogpost diskutiert wurde: Einfluss und Reichweite von Blogs, bzw., viel allgemeiner, Einfluss von Diskursen. Gestern habe ich eine schöne Stelle in meinem aktuellen Roman gelesen. In „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“, geht es in einem Abschnitt um die Geburt des Protagonisten im Jahr 1905. Seine Mutter schenkte ihm einen Tag nach einer Demonstration das Leben, auf die sie ging, um „für so utopische Dinge wie das Frauenwahlrecht und den Acht-Stunden-Tag zu protestieren.“

    Ich mochte diese Stelle sehr, denn rückblickend betrachtet sind die größten Wendungen auf ein paar Spinner, die an eine Utopie glaubten, zurückzuführen.
    Momentan arbeite ich an einem Blogpost zu den „Ways of world-making“. Viele Kulturwissenschaftlerinnen versuchen, zu zeigen, wie mächtig Diskurse werden können, wenn sie schriftlich gebündelt werden und sich dabei gegenseitig verstärken. Die Ausgangsthese ist, dass es nicht berühmte Werke über politische Umstürze gegeben hat, weil es politische Umstürze gab, sondern dass es diese Umstürze gab, weil es einflussreiche Literatur dazu gegeben hat. Das lässt sich belegen, was unheimlich spannend ist. Will ich das nun auf Teufel komm raus mit der Blogosphäre vergleichen? Selbstverständlich nicht. Steffen und Mikel hatten in diesem Punkt völlig Recht, es hieße, den Einfluss der Blogger massiv überschätzen, wenn man dem Teil der Blogosphäre, der sich um gesellschaftsrelevante Themen kümmert, eine solche Kraft zuschreiben würde.

    Aber: (Das hast Du Dir gedacht, dass jetzt ein „Aber“ kommt, oder?)
    Die Sache mit dem Einfluss ist nicht ganz unkniffelig. Vor zehn Jahren hat kaum jemand über den Einfluss von facebook gesprochen. Vor drei Jahren lautete die meistgehörte Frage im Zusammenhang mit Twitter: „Was ist das?“ Während wir allein durch die Nutzerzahlen den Einfluss von fb heute nicht mehr wegdiskutieren können, bilden die Twitter-Nutzerinnen noch immer einen sehr, sehr kleinen Teil der Gesellschaft. Völlig asymmetrisch zu dem eigentlichen Anteil wächst aber der Einfluss von bzw. der Diskurs über twitter. Warum ist das so? Ich denke, weil viele Menschen das Potential und die Wirksamkeit der Plattform in der Zukunft erahnen. Sollten sie den Börsengang langfristig überleben, versteht sich. Mit der Blogosphäre könnte es ganz ähnlich sein. Bereits seit einiger Zeit existieren ja Diskussionen, die im Blog das eigentliche social tool sehen und die Ausrichtung auf die großen Plattformen eher kritisch hinterfragen. Jetzt hat Dunkelangst gerade seine Präsentation vom wp-camp online gestellt. Hier zeigt er Ideen, wie man die verschiedenen Möglichkeiten der großen Plattformen in die eigenen Blogs integriert und somit die Kommunikation unter ihnen bereichert, beschleunigt etc.:
    http://microblog.dunkelangst.org/2013/11/09/wpcb13-prasentation-social-networks/#comment-35
    Einer meiner Hauptpunkte in jeder Argumentation ist ja, dass wir keinerlei verlässliche Prognosen mehr treffen können, berücksichtigen wir die exponentielle technische Entwicklung. Daher bin ich dazu geneigt zu sagen: Ich stimme Dir zu, die Reichweite von Blogs ist sehr beschränkt. Das könnte sich aber in absehbarer Zeit ändern.

    Mein anderer Punkt – vielmehr meine Frage – war ja, ob nicht der Altersarmutsdiskurs überhaupt auch mal ins Netz sollte – so wie wir uns fragen, wie wir die Netzdiskurse mehr in die Gesellschaft bringen können.
    Ich habe darauf aber keine Antwort – wie Du oben beschreibst, es gibt genügend Gründe, zu denken, dass es egal ist, was „das Netz“ tut. Aber wir wissen es eben nicht. 😉

    • Hallo Juna,
      nein, es ist nicht egal was „das Netz“ tut. Wäre es egal, dann gäbe es ja schließlich keinen Grund um alle Netzaktivitäten lückenlos überwachen zu wollen.
      Schauen wir in andere Länder, dann werden Blogger sogar dafür ins Gefängnis geworfen weil sie ihre Meinung im Netz öffentlich kund tun. Es zeigt, dass man sehr wohl Angst davor hat, dass das gemeine Volk zum Denken angeregt wird. Das war bereits im Alterum so, Sokrates durfte ja auch den Giftbecher leeren weil er mit seinen Diskussionen angeblich die Jugend verdorben hatte.

      Und natürlich haben Blogs eine wichtige Funktion. Ich selbst habe mich schon lange von der gedruckten Tageszeitung verabschiedet und auch die Mainstream-Presse „genieße“ ich mit Vorsicht nachdem immer mehr klar wurde, dass man dort keinen investigativen Journalismus mehr betreibt sondern eher Public Relations für die Standpunkte der Machthaber.

      Trotzdem ist die Blogsphäre leider heillos unkoordiniert. Was hilft es der Welt, wenn sich in 10.000 Blogs je 10 Leute über ein Thema aufregen, aber nicht zusammen finden. Würden sie voneinander wissen wären es schon 100.000 Leute die z.B. eine Petition starten könnten und durch ihre schiere Anzahl die Behandlung dieser Petition im Petitionsausschuß auch erzwingen könnten.

      Und ja, Diskussionen sind wichtig. Jede Idee gilt solange als hirnrissig bis einer kommt und sie erfolgreich umsetzt. Und natürlich gilt der Spruch „Die Feder ist mächtiger als das Schwert“ heute auch uneingeschränkt, die vielen Sanktionen gegen unliebsame Artikel sprechen hier eine sehr deutliche Sprache der Angst.

      Andersrum ist es halt leider auch so, dass die Propagandaschleudern auch das Netz für sich entdeckt haben. Und manche fruchtbare Diskussion wird dann auch mal von (vielleicht bezahlten) Trollen kaputt gemacht. Politische Meinungsbildung ist ein sehr komplizierter Prozess und ich bin ehrlich gesagt froh, dass es unabhängige Blogger gibt die eben nicht aus Kommerzintressen schreiben sondern einfach aus Interesse am Thema.

      Das Problem ist allerdings die Aufmerksamkeitsspanne. Schauen wir uns z.B. den NSA-Skandal an, dann sind die neuen Nachrichten nur noch der Auslöser für ein dezentes Schulterzucken, denn hier bekommen wir die Wahrheit per Salami-Taktik geliefert, immer gerade so viel, das man zwar verärgert ist, aber eben doch nicht so viel, dass man mit der Faust auf den Tisch schlägt und tatsächliche Konsequenzen fordert.

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