Armutsdiskussion

Wie müsste das Problem angegangen werden?

Die neoliberale Politik versucht uns die Probleme des Rentensystems  als demographisches Problem zu verkaufen. Natürlich will ich nicht bestreiten, dass unsere Gesellschaft statistisch gesehen immer älter wird, aber das allein sollte noch kein Grund zur Sorge sein, denn wie auf der vorigen Seite beschrieben wirkt das Mackenroth Theorem hier eben auch universell.

Was das Problem deutlich verschärft dürfte die Lohnentwicklung in Deutschland sein. Wir haben uns den Titel „Exportweltmeister“ mit einer katastrophalen Lohnpolitik erkauft und während der Export boomt liegt die Binnennachfrage seit Jahren am Boden. Der Niedriglohnsektor explodiert und das hat zwangsweise zur Folge, dass die Beiträge welche in die gesetzliche Rentenversicherung bezahlt werden ständig weniger werden, auch ohne dass man den Prozentsatz des Rentenbeitrages künstlich niedrig hält und den Menschen eine private Altersvorsorge aufschwatzen will. Auf der anderen Seite haben wir heute viele Rentner aus der Zeit einer noch funktionierenden Wirtschaft, sprich diese haben weitaus höhere Rentenansprüche als sie diejenigen haben werden die heute für einen Hungerlohn schuften und irgendwann wenn sie ausgebrannt sind direkt in die Altersarmut entsorgt werden.

Die Folge dieser katastrophalen Lohnpolitik ist auch eine gigantische Umverteilung von unten nach oben. Das Blog Duckhome hat schon vor dreieinhalb Jahren die Einkommensverteilung in Deutschland anhand von Sandkörnern visualisiert. Diese Bilder zeigen auf erschreckende Weise, dass Deutschland längst kein sozialer Bundesstaat mehr ist, so wie es in Artikel 20 GG definiert wurde.

Eine zentrale Forderung um das Problem der Altersarmut zu lösen ist daher die Forderung nach einem anständigen Mindestlohn der als Nebeneffekt eben auch dafür sorgt, dass die Rentenkassen wieder steigende Einnahmen zu verzeichnen haben. Solange die Profite der Unternehmen explodieren, die Arbeitnehmer aber weiterhin zuwenig verdienen, solange wird der Elfenbeinturm im Sandhaufen unaufhörlich weiter wachsen. Natürlich malen die neoliberalen Gegner des Mindestlohns die Horrorszenarien vom Untergang des Abendlandes an die Wand. Seltsamerweise gibt es bei unseren europäischen Nachbarn aber durchaus Mindestlöhne und das ganz ohne die katastrophalen Folgen die man uns immer vorgaukeln will.

Die nächste Forderung wäre natürlich dann auch, dass alle Menschen mit Einkommen auch Rentenversicherungsbeiträge zahlen. Es ist relativ sinnfrei, wenn Selbständige von der Rentenversicherungspflicht ausgenommen werden, denn letzlich erzielen sie ein Einkommen welches eben nach Mackenroth dem einkommensfreien Teil der Bevölkerung zu gute kommen sollte. Zum anderen haben diese Selbständigen doch das in den gegenwärtigen Zeiten nicht unwahrscheinliche Risiko einer Insolvenz, d.h. wenn sich das Geschäftsmodell in Schall und Rauch aufgelöst hat, dann haben sich höchstwahrscheinlich auch die Altersvorsorgepläne dieser Leute ins Nirwhana verabschiedet und sie sind neue Kandidaten für eine selbstgemachte Altersarmut weil sie eben nie in die Rentenkassen eingezahlt haben und daher keine Ansprüche an das Rentensystem aufbauen konnten.

Die Frage ist auch, ob die Rentenversicherungsbeiträge mit einer Beitragsbemessungsgrenze gedeckelt werden müssen. Was wäre, wenn einfach jeder Einkommensbezieher einen bestimmten Prozentsatz seines Einkommens in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen müsste? Für Normalverdiener könnte der Rentenversicherungsbeitrag bei so einem Modell sinken, die Ackermänner der sogenannten Elite würden dann eben entsprechend kräftig zur Kasse geben werden. Vielleicht bräuchte das normalverdienende Volk in der Anfangszeit Oropax um nicht durch das laute Wehklagen taub zu werden, aber es wäre sicherlich gut fürs Rentensystem.

Passieren wird von alledem wahrscheinlich nichts. Der Mindestlohn wird von unseren lobbygesteuerten Politikern gescheut und ständig hinausgezögert. Rentenversicherungspflicht für alle ist da wahrscheinlich viel zu revolutionär für die politische Elite, das wird also sicherlich als „nicht umsetzbar“ verworfen werden.

Die daraus resultierende Zukunftsperspektive ist also eine weitere Verelendung und ein unaufhaltsamer Verfall von notwendiger Infrastruktur. Und mit diese düsteren Zukunftsperspektive geht natürlich auch die Lust verloren, eine Familie mit Kindern zu gründen. Der moderne Wohnungsbau hat mittlerweile doch eher die Singles oder DINKs (Double Income No Kids) als Zielgruppe denn Familien mit Kindern. Ohne Kinder haben wir aber genau das Überalterungsproblem das uns momentan so zu schaffen macht.

So, nach 9 Überarbeitungen stelle ich diesen Blogartikel jetzt online. Ihr dürft gerne Kommentare schreiben oder hierher verlinken. Danke nochmals an Juna für die Themenvorlage.

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5 Gedanken zu „Armutsdiskussion

  1. Pingback: Pfandgeld | juna im netz

  2. Danke für die vielen Hintergründe und den sehr differenzierten Text, den Du hier online stellst. Vieles davon war für mich neu. Einiges, worüber ich noch nicht nachgedacht habe.
    Daher möchte ich nur auf einen Aspekt eingehen, der auch bereits unter meinem Blogpost diskutiert wurde: Einfluss und Reichweite von Blogs, bzw., viel allgemeiner, Einfluss von Diskursen. Gestern habe ich eine schöne Stelle in meinem aktuellen Roman gelesen. In „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“, geht es in einem Abschnitt um die Geburt des Protagonisten im Jahr 1905. Seine Mutter schenkte ihm einen Tag nach einer Demonstration das Leben, auf die sie ging, um „für so utopische Dinge wie das Frauenwahlrecht und den Acht-Stunden-Tag zu protestieren.“

    Ich mochte diese Stelle sehr, denn rückblickend betrachtet sind die größten Wendungen auf ein paar Spinner, die an eine Utopie glaubten, zurückzuführen.
    Momentan arbeite ich an einem Blogpost zu den „Ways of world-making“. Viele Kulturwissenschaftlerinnen versuchen, zu zeigen, wie mächtig Diskurse werden können, wenn sie schriftlich gebündelt werden und sich dabei gegenseitig verstärken. Die Ausgangsthese ist, dass es nicht berühmte Werke über politische Umstürze gegeben hat, weil es politische Umstürze gab, sondern dass es diese Umstürze gab, weil es einflussreiche Literatur dazu gegeben hat. Das lässt sich belegen, was unheimlich spannend ist. Will ich das nun auf Teufel komm raus mit der Blogosphäre vergleichen? Selbstverständlich nicht. Steffen und Mikel hatten in diesem Punkt völlig Recht, es hieße, den Einfluss der Blogger massiv überschätzen, wenn man dem Teil der Blogosphäre, der sich um gesellschaftsrelevante Themen kümmert, eine solche Kraft zuschreiben würde.

    Aber: (Das hast Du Dir gedacht, dass jetzt ein „Aber“ kommt, oder?)
    Die Sache mit dem Einfluss ist nicht ganz unkniffelig. Vor zehn Jahren hat kaum jemand über den Einfluss von facebook gesprochen. Vor drei Jahren lautete die meistgehörte Frage im Zusammenhang mit Twitter: „Was ist das?“ Während wir allein durch die Nutzerzahlen den Einfluss von fb heute nicht mehr wegdiskutieren können, bilden die Twitter-Nutzerinnen noch immer einen sehr, sehr kleinen Teil der Gesellschaft. Völlig asymmetrisch zu dem eigentlichen Anteil wächst aber der Einfluss von bzw. der Diskurs über twitter. Warum ist das so? Ich denke, weil viele Menschen das Potential und die Wirksamkeit der Plattform in der Zukunft erahnen. Sollten sie den Börsengang langfristig überleben, versteht sich. Mit der Blogosphäre könnte es ganz ähnlich sein. Bereits seit einiger Zeit existieren ja Diskussionen, die im Blog das eigentliche social tool sehen und die Ausrichtung auf die großen Plattformen eher kritisch hinterfragen. Jetzt hat Dunkelangst gerade seine Präsentation vom wp-camp online gestellt. Hier zeigt er Ideen, wie man die verschiedenen Möglichkeiten der großen Plattformen in die eigenen Blogs integriert und somit die Kommunikation unter ihnen bereichert, beschleunigt etc.:
    http://microblog.dunkelangst.org/2013/11/09/wpcb13-prasentation-social-networks/#comment-35
    Einer meiner Hauptpunkte in jeder Argumentation ist ja, dass wir keinerlei verlässliche Prognosen mehr treffen können, berücksichtigen wir die exponentielle technische Entwicklung. Daher bin ich dazu geneigt zu sagen: Ich stimme Dir zu, die Reichweite von Blogs ist sehr beschränkt. Das könnte sich aber in absehbarer Zeit ändern.

    Mein anderer Punkt – vielmehr meine Frage – war ja, ob nicht der Altersarmutsdiskurs überhaupt auch mal ins Netz sollte – so wie wir uns fragen, wie wir die Netzdiskurse mehr in die Gesellschaft bringen können.
    Ich habe darauf aber keine Antwort – wie Du oben beschreibst, es gibt genügend Gründe, zu denken, dass es egal ist, was „das Netz“ tut. Aber wir wissen es eben nicht. 😉

    • Hallo Juna,
      nein, es ist nicht egal was „das Netz“ tut. Wäre es egal, dann gäbe es ja schließlich keinen Grund um alle Netzaktivitäten lückenlos überwachen zu wollen.
      Schauen wir in andere Länder, dann werden Blogger sogar dafür ins Gefängnis geworfen weil sie ihre Meinung im Netz öffentlich kund tun. Es zeigt, dass man sehr wohl Angst davor hat, dass das gemeine Volk zum Denken angeregt wird. Das war bereits im Alterum so, Sokrates durfte ja auch den Giftbecher leeren weil er mit seinen Diskussionen angeblich die Jugend verdorben hatte.

      Und natürlich haben Blogs eine wichtige Funktion. Ich selbst habe mich schon lange von der gedruckten Tageszeitung verabschiedet und auch die Mainstream-Presse „genieße“ ich mit Vorsicht nachdem immer mehr klar wurde, dass man dort keinen investigativen Journalismus mehr betreibt sondern eher Public Relations für die Standpunkte der Machthaber.

      Trotzdem ist die Blogsphäre leider heillos unkoordiniert. Was hilft es der Welt, wenn sich in 10.000 Blogs je 10 Leute über ein Thema aufregen, aber nicht zusammen finden. Würden sie voneinander wissen wären es schon 100.000 Leute die z.B. eine Petition starten könnten und durch ihre schiere Anzahl die Behandlung dieser Petition im Petitionsausschuß auch erzwingen könnten.

      Und ja, Diskussionen sind wichtig. Jede Idee gilt solange als hirnrissig bis einer kommt und sie erfolgreich umsetzt. Und natürlich gilt der Spruch „Die Feder ist mächtiger als das Schwert“ heute auch uneingeschränkt, die vielen Sanktionen gegen unliebsame Artikel sprechen hier eine sehr deutliche Sprache der Angst.

      Andersrum ist es halt leider auch so, dass die Propagandaschleudern auch das Netz für sich entdeckt haben. Und manche fruchtbare Diskussion wird dann auch mal von (vielleicht bezahlten) Trollen kaputt gemacht. Politische Meinungsbildung ist ein sehr komplizierter Prozess und ich bin ehrlich gesagt froh, dass es unabhängige Blogger gibt die eben nicht aus Kommerzintressen schreiben sondern einfach aus Interesse am Thema.

      Das Problem ist allerdings die Aufmerksamkeitsspanne. Schauen wir uns z.B. den NSA-Skandal an, dann sind die neuen Nachrichten nur noch der Auslöser für ein dezentes Schulterzucken, denn hier bekommen wir die Wahrheit per Salami-Taktik geliefert, immer gerade so viel, das man zwar verärgert ist, aber eben doch nicht so viel, dass man mit der Faust auf den Tisch schlägt und tatsächliche Konsequenzen fordert.

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