Verzweiflung, pure Verzweiflung

Wenn ich diese Tage bei den Bloggern die ich regelmäßig lese vorbei schaue, dann packt mich die Verzweiflung. Denn alle die gerne auch mal positive Dinge in ihr Blog schreiben sind momentan in einer sehr aufewühlten Phase. Micha stellt beispielsweise fest, dass wir zu viel Scheiße zur Zeit haben. Mitsommar prangert in ihrem Blog die verdeckte Fremdenfeindlichkeit an und Julia hat eine akute Schreibblockade die ich sehr gut nachvollziehen kann. Bei vielen Themen die uns bewegen reicht mittlerweile Schreiben gar nicht mehr aus, man müsste Schreien vor Entsetzen und Verzweiflung.

Beginnen wir doch mal mit der Fremdenfeindlichkeit im Land. Haben wir denn nichts, aber auch gar nichts aus unserer Geschichte gelernt? Vor knapp 80 Jahren demonstrierte man gegen die Juden, heute ist es wieder salonfähig wenn man gegen die Islamisierung des Abendlandes auf die Straße geht. Und Flüchtlinge will eh keiner haben, denn deren Anwesenheit würde uns ja täglich daran erinnern, dass unser Wohlstand sich auf der Ausbeutung der Herkunftsländer dieser Flüchtlinge gründet und dass wir mit unseren Waffenexporten dort Kriege unterstützen welche die Leute in die Flucht treiben.

Flüchtlinge gefährden unser Wohlbefinden, unseren Wohlstand und auch das Lohnniveau, zumindest könnte man das meinen wenn man manche Anmerkungen zu den Ereignissen dieser Zeit liest. Aber Hallo, unser Lohnniveau wird nicht von Flüchtlingen kaputt gemacht sondern von den Nieten in Nadelstreifen die wie die Volldeppen um das goldene Kalb des Kapitalismus tanzen und unbeirrbar durch reale Entwicklungen das Festhalten an der neoliberalen Ideologie predigen. Das Lohnniveau wird kaputt gemacht weil wir Dinge haben wie Hartz IV, was nichts anderes ist als ein Angriff auf die Tarifautonomie denn es zwingt jeden Betroffenen seine Arbeitleistung für einen Hungerlohn anzubieten. Und mühsam erkämpfte „Vorteile“ wie das Streikrecht werden nun durch einen Gesetzentwurf zur Tarifeinheit ausgehöhlt und kaputt gemacht. All das sind Verdienste unserer Regierungen der letzten Jahrzehnte, doch angelastet wird jedes Problem erst mal denen, die sich nicht wehren können. Und die deutsche Qualitätspresse hetzt fleißig mit, statt ihrer Kontrollfunktion als 4. Gewalt im Staat nachzukommen.

Wen wundert es dann, wenn mal wieder Flüchtlingsheime brennen und mit Hakenkreuzen beschmiert werden? Die Täter, die so etwas machen sind auch nur Opfer eines Systems das sie längst aussortiert hat und ihnen so den Nährboden für die verführerischen Parolen der Neonazis gelegt hat. Und wenn ich dann lese, dass ein Innenminister De Maiziere nun Verständnis für die Pegida-Demonstranten zeigt und überlegt, wie er sie besser aufklären kann dann kann ich nur gequält auflachen. Diese Aufklärung sollte in der Schule stattfinden, aber Schulen sind ja mittlerweile zu Fabriken für unkrititische Befehlsempfänger mutiert und unterrichten „marktorientiert“ das, was die Wirtschaft nachfragt. Bei den beschleunigten Durchlaufzeiten (Stichwort G8) ist dann natürlich kein Platz mehr für das Befassen mit anderen Kulturen oder Weltanschauungen.

Was zählt sind die „westlichen Werte“ die wir auf der ganzen Welt hochhalten und verteidigen müssen. Das hier einiges im Argen ist weil wir dank Edward Snowden lernen mußten, dass wir alle fleißig überwacht werden, natürlich nur zu unserem Besten, hat kaum Eindruck bei den Leuten hinterlassen. Die Propaganda malt uns den bösen Terroristen an die Wand vor dem wir uns durch Überwachung schützen müssen und na ja, da muss man eben alle überwachen weil man ja nicht weiß wer der Terrorist ist.

Und nun stellen wir fest, dass unsere transatlantischen Freunde nicht nur sehr genau wissen wollen was wir tun, sondern auch sehr hemmungslos irgendwelche Menschen foltern, was passiert da? Nichts. Die Erkenntnis dass gefoltert wurde wird in den Informationsmedien als „erweiterte Verhörmethoden“ weichgespült. Außerdem foltern ja auch andere, also tut man ja nichts Außergewöhnliches.

Wo bleibt diesesmal der Aufschrei? Wir geben vor, Menschlichkeit und Demokratie verteidigen zu wollen und benutzen die unmenschlichen Foltermethoden von faschistischen Terrorregimes. Wer stellt die Verantwortlichen vor ein ordentliches Gericht um sie zur Rechenschaft zu ziehen? Statt die Täter zu bestrafen schicken wir diejenigen die das Grausame öffentlich gemacht haben in das Gefängnis.

Unser System ist auf so vielen Ebenen kaputt, dass man einfach nur noch verzweifeln möchte. Denn statt sich um die Ursachen zu kümmern veranstaltet die Politik weiterhin ein Schauspiel das man wieder mal mit dem Begriff „Panem et circenses“ (Brot und Spiele) umschreiben könnte. Man bejubelt sich selbst (siehe CDU-Parteitag diese Woche) und feuert auch schon mal Breitseiten gegen den Noch-Koalitionspartner damit der gleich mal weiß wo der Hammer hängt.

Derweil gehen viele der Errungenschaften die man in der Vergangenheit mühsam erkämpft hat den Bach runter oder werden dem angeblich „neuen Zeitgeist“ geopfert. Wer sich heute noch fragt, wie damals das dritte Reich passieren konnte, der dürfte nun ausreichend Antworten haben.

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4 Gedanken zu „Verzweiflung, pure Verzweiflung

  1. Lieber Rainer,
    plakatiere diesen Text überall. In sämtlichen Analogmedien, bitte! Was kostet eigentlich ne ganzseitige Anzeige, sagen wir mal in der Frankfurter oder der Bild?

  2. Ein Kommentator bei Mitsommar regt mich gerade massiv auf. Schmeißt Inklusion und Flüchtlinge in „einen Sack“ und haut drauf. Hat aber wahrscheinlich weder Kinder im System und schon gar keinen Flüchtling kennengelernt. *meckermotz*

    So musste sofort raus, jetzt les ich mal in Ruhe weiter. 😉

    Tja, und ansonsten hast Du das Problem sehr gut umrissen. Die Politiker nutzen alles (und die Presse macht fröhlich mit) um uns zu verdummen. Stammtischparolen werden Parteiprogramm, der Wirtschaft wird der A…. hinterhergetragen und die Tarifautonomie wird mit dem Segen des DGB ausgehölt. Geht ja gegen den deutschen Beamtenbund. Äähhhhh Halloooooooooo, warum merkt eigentlich niemand vom deutschen Volk, dass sie „veräppelt“ werden.

    Ich gebe zu, es ist schon schwierig, solche kleinen feinen Dinge zu bemerken (DGB ./. Beamtenbund), wenn die Journalie dies immer schön in klitzekleinen Nebensetzen ganz kurz erwähnt. Da nützt ja selbst die Tageszeitung nichts mehr. Stet ja auch nichts drin, was wirklich von Interesse ist.

    Ich fühle mich ganz massiv in die zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts zurückversetzt.

    Aber was kann man machen……………… tja zum Thema Flüchtlinge / „Ausländer“ (Migranten ist ein ebenso dämliches Wort) / Behinderte………… einfach den Mund aufmachen und Stellung beziehen. Da draußen auf der Straße, im Wartezimmer und RUHIG aber BESTIMMT den eigenen Standpunkt vertreten.

    Nein, ist nicht lustig…………….. aber die Klappe halten bringt uns auch nicht weiter.

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