Autismus-Bashing scheint gerade in zu sein

Mein Sohn hat die Diagnose „atypischer Autismus“. Darum reagiere ich auch etwas hellhörig, wenn man in den Medien wieder mal auf Autisten eindrischt ohne überhaupt auch nur einen blassen Schimmer davon zu haben, was Autismus für den Betroffenen oder sein Umfeld bedeutet.

Einer der den Schuß nicht gehört hat ist der Kabarettist Max Uthoff, bekannt aus „Neues aus der Anstalt“. Der hatte bereits bereits bei den Anti-Pegida-Kundgebungen in München wohl den Vergleich zwischen „Patriotischen Europäern“ und dem „Autisten im Swingerclub“ gezogen, was dann in den sozialen Netzen auf meinem Radar schon zu einem kleinen Shitstorm führte. Aber entweder schlugen die Wellen nicht hoch genug um Herrn Uthoff zu erreichen oder er erweist sich als beratungsresistent, denn genau der gleiche „Gag“ (den ich übrigens immer noch nicht verstanden habe) wurde in der Anstalt-Sendung vom 3. Februar wiederholt. Das Publikum klatsch pflichtbewusst (wahrscheinlich auch weil im Studio für die Kamera unsichtbar die Hinweise erscheinen, wann man doch zu applaudieren habe). Diese Wiederholung des schiegelaufenen Gags hat ihm jetzt einen Platz in der „Autismus Hall of Shame“ eingebracht.

Noch krasser ist es dann, wenn man in den Nachrichten plötzlich hört, dass der Buhmann Nr. 1 der zivilisierten Welt auch ein Asperger-Autist sein soll. Ja liebe Leser, der Pentagon hat den russischen Präsidenten genaustens analysiert und ist zu dem Schluß gekommen, dass Herr Putin ein Asperger-Autist ist. Die Regenbogenpressse angefangen von Bild bis zum Focus (der ja vom Niveau durchaus zur Bild passt) springt natürlich sofort auf diesen Zug auf und suggeriert dem Leser, dass Herr Putin durch diese „Krankheit“ in all seinen Entscheidungen beeinflusst wird. Na, das ist ja wirklich katastrophal, sind wir mal froh, dass die zivilisierten Politiker in ihren Entscheidungen nur durch die Lobbyisten und ihre eigene Gier beeinflusst werden, es wäre ja fatal, wenn da ein unkonventioneller Verstand hier die Oberhand übernehmen würde.

Ganz nebenbei bemerkt halte ich das ganze wieder für Propaganda aus der untersten Schublade. Putin, der ja mal als makelloser Demokrat bezeichnet wurde soll hier dann eben den Makel „Autist“ angeheftet bekommen. Blöd nur, dass die Diagnose allein auf ein paar Analysen seines Verhaltens und seiner Körpersprache basiert. Das reicht nämlich bei weitem nicht. Ich durfte nämlich auf Anraten meiner besseren Hälfte letztes Jahr auch mal so einen Autismus-Test über mich ergehen lassen und das nur weil ich angeblich auch autistische Verhaltensweisen zeige. Also hatte ich vier Sessions in der Psychatrie und wurde zu allem und jenem befragt um dann zu dem Schluss zu kommen, dass ich eben kein Autist bin. Aber bei dem Prozedere habe ich zumindest die Erkenntnis bekommen, dass man für eine qualifizierte Aussage auch auf die Mitarbeit der zu testenden Person angewiesen ist.

Ich weiß auch noch gut als wir bei unserem Sohn eine vom normalen Schema abweichende Entwicklung beobachteten. Natürlich versuchte man das Kind zu testen, aber diese Tests scheitern einfach grandios, wenn die zu testende Person nicht mitmacht, egal ob willentlich oder einfach weil sie keinerlei Bezug zu den Fragen hat. Wenn das Kind noch keine Vorstellung von „rot“ oder „grün“ hat ist es ihm unmöglich, das rote oder grüne Bauklötzchen zu bestimmen.

Aber klar, bei Putin reicht es seine Auftritte zu studieren um hier mal die Autismuskeule zu schwingen. Was will man mit dieser „Diagnose“ erreichen? Sucht man nach einer billigen Legitimation um die Russen von ihrem „kranken“ Präsidenten zu befreien?

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7 Gedanken zu „Autismus-Bashing scheint gerade in zu sein

  1. Als Mutter von vier autistischen Kindern………….. die das Procedere der Testung also mehrfach durchlaufen hat…………………. möchte ich mal gerne wissen

    mit WELCHER Qualifikation sich die Menschen im Pentagon (anscheinend ein „Spezialist“ für Körpersprache) sich anmaßt, eine psychiatrische Diagnose zu stellen.

    Zu einer validen Diagnose wird

    das Umfeld
    die Eltern
    der zu Diagnostizierende

    befragt und es werden eigene Beobachtungen in der Interaktion gemacht.

    Dieses Procedere zieht sich (im Kinder- und Jugendbereich) über Monate hin.

    Im Erwachsenen-Bereich ist die Testung oft falsch negativ, weil gerade die antrainierten (auf kognitiver Leistung beruhenden) Kompensationen und der oft schon fehlende Hintergrund (verstorbene Eltern / oder nicht mehr valide Beobachtungen aus der Kinder- und Jugendzeit) eine Diagnose mehr als nur erschweren.

    Zu der Analyse aus dem Pentagon von 2008, die jetzt medienwirksam wieder ins Spiel gebracht wird, kann man eigentlich nur sagen…………… PFUI

    Ich kenne keinen Autisten, der sich so verhalten würde wie unsere Politiker!

    Ich kenne auch keinen Autisten, der an Autismus leidet. Sie leiden (eigentlich) nur an den sozialen Komponenten der Schule und des Arbeitslebens. Weil ihnen unter anderem die sozialen Spielregeln nicht logisch erscheinen und sie häufig eine Reizfilterschwäche haben (Licht, Geräusche, „Düfte).

    Unter diesen Voraussetzungen hätte ein Vladimir Putin aber die Ausbildung zum Soldaten und beim KGB nicht überstanden.

    So gut zu kompensieren, ohne Zusammenbruch zu erleiden, schafft „man“ einfach NICHT!!

  2. Als Vater eines Kindes mit der Diagnose ‚autistische Störung‘ möchte ich Euch zurufen: ein entspannter Umgang und ein dickeres Fell tut allen, auch Euch, gut. Warum? Weil dann alles etwas leichter wird.

    Als Dresdner könnte ich auch beleidigt aufschreien, wenn ich von der Presse, von Kabarettisten momentan ständig mit den Pegida-Idioten in einen Topf geworfen werde. Aber das kann man aushalten und ein wenig Gelassenheit an den Tag legen.

    Übrigens das gleiche, was wir von den beleidigten Muslimen erwarten, wenn wir uns über ihren Propheten lustig machen. Auch sie sollten nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen und auch mal einen solchen Anwurf aushalten.

    Nicht alles zu ernst und zu wörtlich zu nehmen würde so manchen Konflikt auf dieser Welt vermeiden!

    • Man kann die „Diagnose“ für Putin unter zwei Gesichtspunkten betrachten

      a) ein Machthaber wird mit einer psychischen Diagnose gebrandmarkt, damit man ihn nicht ernst nehmen muss

      ——weil, dann kann man seine Aktionen gegen ihn besser durchsetzen / verteidigen / was auch immer. Man verspricht sich jedenfalls etwas davon

      b) man setzt Autisten Klischees aus.

      Ich weiß ja nicht, wie alt Dein Kind ist. Aber je größer die Kinder werden, desto mehr haben die Jugendlichen in der Schule mit eben diesen Klischees zu kämpfen.

      Und im Gegensatz zu „den“ Dresdnern (die NICHT zur Pegida gehören und sich dagegen wehren) haben sie KEINE Lobby, keine Demonstrationen oder sonst IRGENDWELCHE Hilfen, die sie den Alltag überstehen lassen!!

      Wir haben Mobbing wegen der Andersartigkeit in mehrfacher Form durch. Und die dadurch entstandenen Traumata begleiten uns ein Leben lang.

      So kann ich vielleicht einen sehr misslungenen satirischen Beitrag eines Künstlers mit einem Schulterzucken abtun. Aber manch andere Fern“diagnose“ (ich erinnere mich da an einige Amokläufe und die entsprechenden Falsch“diagnosen in den og. Medien, oder auch der Bischof von Limburg) und die daraus hergeleiteten „Zusammenhänge“ eben leider NICHT.

      Und genau dann ist es mit meiner Ruhe und Gelassenheit vorbei!

      Denn damit werden die Kinder auf dem Schulhof belastet.
      Damit wird dem Mobbing durch die Schulkameraden und deren Eltern Vorschub geleistet!
      Es gab da durchaus besorgte Nachfragen an die Schulleitungen ob meine Kinder nun gefährlich wären.

      NEIN, das geht einfach NICHT!

      • Mein Sohn ist jetzt 12 und eben sehr atypisch für einen Autisten. Trotzdem kenne ich das Gefühl des Ausgegrenztseins. Wir waren mal in so einer Freizeitanlage und da durfte er nach Herzenslust rumtollen. Bis dann eine andere Mutter mitbekam, dass er „behindert“ ist und uns fragte, warum wir ihn einfach so sausen lassen und ob das nicht gefährlich für die anderen Kinder wäre.
        Zum Glück ist er in der Sonderschule, da ist der Mobbing-Druck wegen der Andersartigkeit nicht ganz so groß.

        • Die Kinder sind jetzt 18, 16, 12 und 7. Die Regelschule ist nicht eigentliche Problem. Sondern die Eltern, die sich auf die „Qualitätsmedien verlassen“ und mit diesem Halbwissen die verunsicherten Lehrer belagern.

          Auch Autismusbeauftragte, die im Zweifel nur dran waren, als die Stelle ausgeschrieben wurde; die mit der Problematik nicht umgehen können sind ein Problem.

          Am besten sind allerdings Arbeitsamtsmitarbeiter, die (egal wie begabt und wie leistungsfähig wenn die sozialen Komponenten stimmen) direkt mit WfbM oder BFW „winken“. Auch hier bleiben diese Berichte nicht ohne Wirkung. Ebenfalls sind evtl. zukünfige Arbeitgeber hier verunsichert!

          Eine gute Schulbegleitung / ein guter Coach (wenn man denn die Finanzierung durchbekommen hat) und Aufklärung sind Werkzeuge, die es ermöglichen hier ein besseres Leben und Lernen zu ermöglichen

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