Ich habe in meinem Leben ein einziges Mal die Talkshow von Günther Jauch angesehen, damals, als die Manomama ihren Auftritt hatte. Danach war ich von dieser Niederung deutscher Fernsehkultur kuriert. Am letzten Sonntag hatte der Moderator des Grauens einen sehr interessanten Gast, nämlich den griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis. Ich habe es trotzdem nicht angeschaut, und angesichts der Informationen die ich von meinen Nachrichtenkanälen auf Twitter und im Feed bekomme war das auch gut so.
So schreibt Michalis Pantelouris, dass man Varoufakis wohl mit einem Video aus 2013 konfrontiert hat in dem er symbolisch Deutschland den „Stinkefinger“ zeigt. Und mit seiner Eröffnung „Die große Tragödie ist, dass alle nur über diesen Finger reden werden“ liegt er wohl gar nicht so falsch. So hackt die Zeit am 16. März morgens auf dem „Stinkefinger-Schwur“ herum und legt am Nachmittag mit „Wo liegt das Problem mit dem Stinkefinger?“ nach. Und wenn man in Google-News nach „Varoufakis Stinkefinger“ sucht, dann sieht man, dass die Zeit mit ihren Artikeln wahrlich nicht alleine steht.
Nun ist es ja nicht ungewöhnlich, dass Finanzminister gerne mal den Stinkefinger zeigen. Auch der damalige deutsche Finanzminister Peer Steinbrück hat im Wahlkampf schon mal den Stinkefinger gezeigt. Das Problem mit den Anwürfen gegen Yanis Varoufakis ist, dass das betroffene Video aus dem Kontext herausgerissen wurde und damit den Zuschauern unterschwellig suggeriert wurde, dass Varoufakis in seiner Rolle als Finanzminister jetzt Deutschland seinen Finger gezeigt hat. Sowohl Michailis Pantelouris als auch Stefan Niggemeier weisen in ihren Blogbeiträgen sehr gut auf diese unterschwellige Manipulation hin.
Das Video mit der empörtenden Szene kann man sich übrigens jederzeit ansehen um sich ein Bild davon zu machen. Spendiert mal die 5 Minuten und denkt dann darüber nach, ob die Schlüsselaussage im Stinkefinger liegt, oder ob Varoufakis nicht vielleicht etwas sehr Sinnvolles, wenn auch sehr Schmerzhaftes für unsere Kapitalisten gesagt hat:
Der griechische Finanzminister ist in seiner Argumentation nicht von Ideologien getrieben, sondern hat als Ökonom druchaus den Blick dafür, wo die Probleme in der Eurozone liegen. Das zeigt auch sein Vortrag von bei TEDx aus dem Jahr 2011 in dem er sehr kluge Dinge sagt:
Ein anderer Ökonom der manchmal an der Ignoranz der Politik zu verzweifeln scheint ist Heiner Flassbeck. Auch er hat einen guten Kommentar zur Talkshow am Sonntag und stellt unter anderem fest:
Interessant an dieser Sendung wie an vielen anderen dieser Art vorher war allerdings, dass das Eigentliche, worum es bei einer ernsthaften Diskussion gehen müsste, nämlich die Frage, welche „Reformen“ in den vergangenen fünf Jahren unter der Fuchtel der Troika schon gemacht wurden und was diese „Reformen“ gebracht haben, nicht ein einziges Mal auch nur erwähnt wurde.
Ich sehe mich in meiner Entscheidung bestätigt, auf das Fernsehen weitgehend zu verzichten, denn schon Neil Postman hat ja festgestellt, dass das Fernsehen nicht der Information sondern der Unterhaltung dient.
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Was Deinen Kommentar zur Inhaltstiefe des (deutschen) Fernsehens angeht, gehe ich durchaus konform mit Deiner Meinung. Ich bin jedoch sehr zwiespältig in der Sache rund um Griechenland. Varoufakis als Ökonom, der nicht von Ideologien getrieben ist, sollte es eigentlich besser wissen, und auch unsere lieben Politiker: Griechenland ist defakto pleite, da helfen auch alle Verbalinjurien gegen Berlin nichts. In der Tat wurden durch den Rettungsschirm französische und deutsche Banken geretteten, die viele MIlliarden in Griechenland im Feuer hatten. Verschwiegen wird jedoch gerne, dass das Geld, das diese Banken Griechenland geliehen hatten, von den Griechen selbst verfrühstückt wurden, ohne Mehrwert zu schaffen, sondern die eigene Produktion abzuschaffen und durch eine extensive Importwirtschaft zu ersetzen und einen aufgeblähten Öffentlichen Dienst einzurichten.
Was alle Beteiligten gerne verschweigen: Die rund 85 Mrd. Euro, die der deutsche Steuerzahler im griechischen Feuer hat, sind weg, egal ob Griechenland weiterhin den Euro behält oder nicht.
Nur: diese 85 Mrd Euro müssen am Ende wieder irgendwo herkommen. Da sie nicht zurückgestellt wurden (Schäuble selbst log, dass diese Bürgschaften niemals gezogen würden), kommen sie auf die 2 Billionen Euro deutscher Staatsschulden oben drauf.
Da die deutsche Regierung jüngst beschlossen hat, die Bundesbankgewinne nicht zur Schuldentilgung zu nutzen, sehe ich auch hier griechische Verhältnisse aufziehen. Am Ende wird die Schuldenblase platzen und in einer Währungsreform härtester Gangart münden. Wir kleinen Leute werden diejenigen sein, die am meisten gekniffen sind.
Und dies alles ganz ideologiefrei…
„Griechenland defakto pleite?“ Das hört man immer wieder auf allen Kanälen, aber stimmt es denn?
In einem Artikel im Wall Street Journal zweifelt Stephen Fidler diese Behauptung an, und er hat gute Argumente: http://www.wsj.com/articles/greece-can-pay-its-debts-in-full-but-it-wont-1424384652
Die Überschrift sagt es schon, Griechenland kann alle seine Schulden abbezahlen, wird es aber nicht tun. Zwingen kann man sie nicht, die Tage der Kanonenbootdiplomatie sind vorbei. Fragt sich nur, ob sie in Zukunft diese Richtungsentscheidung nicht bereuen werden.
Hallo Carsten,
„wir“ als Exportnation haben aber auch unseren Vorteil aus
Zitat: „Verschwiegen wird jedoch gerne, dass das Geld, das diese Banken Griechenland geliehen hatten, von den Griechen selbst verfrühstückt wurden, ohne Mehrwert zu schaffen, sondern die eigene Produktion abzuschaffen und durch eine extensive Importwirtschaft zu ersetzen und einen aufgeblähten Öffentlichen Dienst einzurichten.“
gezogen.
Und die Troika hat auch nur den „kleinen Mann“ angegriffen und nichts an den Strukturen geändert!
Zitat: „Wir kleinen Leute werden diejenigen sein, die am meisten gekniffen sind.
Und dies alles ganz ideologiefrei…“
das unterschreib ich sofort!