Der Schock sitzt tief, wenn man an den Absturz der Germanwings-Maschine am Dienstag nachdenkt. Besonders betroffen macht mich allerdings der Umgang mit der Katastrophe die 150 Menschen das Leben kostete.
Das erste was mich aauer aufstieß war der Katastrophentourismus der Politprominenz. Ich weiß, es gibt auch Leute die schimpfen würden, wenn kein Politiker zur Unglücksstelle eilen würde, aber mal ehrlich, in den Tagen nach dem Absturz haben ein paar Dinge absolute Priorität, nämlich die Bergung der Opfer und die Ermittlung der Unglücksursache. Da braucht niemand das publikumswirksame Schaulaufen der Politiker.
Dann kam das Rennen der Presse um die schnellsten Live-Ticker und im Minutentakt wurden neue Gerüchte und Spekulationen veröffentlicht. Dass der Absturzverlauf kaum auf technische Probleme hindeutet hab eich schon vermutet als ich den 3D-Plot des Flugverlaufes gesehen habe. Keine unkontrollierten Schlenker die auftreten würden, hätte man technische Probleme. Kein wirklicher Notfall-Sturzflug um im Falle einer Dekompression einen angenehmen Luftdruck für die Passageiere herzustellen. Nein, geradlinig bis zum Aufschlag in den Felsen und ein sehr kontrollierter Sinkflug, so als hätte jemand den Autopilot auf eine niedrige Flughöhe programmiert. Und das mysteriöseste war das Fehlen jeglicher Kommunikation aus dem Cockpit. Natürlich heißt die Fliegerregel „Aviate, Navigate, Communicate“, also erst geht Fliegen vor, dann Navigieren und ganz am Schluß kann man erzählen was einem so passiert. Aber wenn tatsächlich zwei Piloten da mit einem technischen Problem (Maschine verliert Höhe) zu kämpfen gehabt hätten, dann hätte man auf die Rückfragen der Flugsicherung geantwortet, denn so was bleibt ja nicht unbemerkt oder zumindest den Transponder auf 7700 stellen können um einen Notfall zu signalisieren. Passiert täglich immer wieder überall auf der Welt, nur hier war totale Funkstille.
Warum das so war mussten wir dann lernen. Die aktuelle Erklärung mit einem sehr hohen Wahrscheinlichkeitsgrad ist, dass der Co-Pilot die Maschine absichtlich zum Absturz gebracht hat. Der Pilot war gerade außerhalb des Cockpits und konnte nicht mehr zurück ins Cockpit.
Boah, was für eine Schlagzeile. Klar dass die versammelten Revolverblätter darauf anspringen und natürlich muss man alle persönlichen Daten zu Co-Piloten veröffentlichen um ihn so richtig durch den Dreck zu ziehen. Und weil dieser Mensch auch noch psychische Probleme hatte wurden im gleichen Atemzug alle Menschen die an Depressionen leiden unter Generalverdacht gestellt und es gab schon unterschwellige Forderungen, dass der, der Depressionen hat doch bitte keine verantwortungsvollen Arbeiten machen soll.
„Gerüchte, der Pilot habe Depressionen gehabt. Unmittelbare Reaktion im Netz: „NEHMT DEPRESSIVEN DIE JOBS WEG!“
SEID IHR NOCH GUT IM HIRN?“
Das so eine Foderung blanker Unsinn ist zeigt die Anwort im folgenden Tweet:
„Wenn jetzt Leute anfangen zu forden dass Depressive keine kritischen Jobs mehr erledigen dürfen fehlen dann wohl bald 30% der Workforce.“
Das Sturmgeschütz unseres Qualitätsjournalismus aus dem Hause Springer hat sich sogar erdreistet, Details aus der angeblichen Krankenakte des Co-Piloten zu veröffentlichen. Interessant ist daran nur, dass das Time-Magazin auf der anderen Seite des großen Teiches sich wunderte, warum der Arbeitgeber keinen Zugriff auf die Krankenakte hatte. In solchen Momenten bin ich sehr froh über unsere sehr restriktiven Gesetze zum Schutz der Privatsphäre.
Auch in der Blosphäre rumort es. So hat der Teilzeitblogger einen sehr lesenwerten Blogartikel geschrieben und auch mein Freund Martin zieht aus der Perspektive eines Depressiven folgende traurige Schlußfolgerung:
Für zwei Wochen sind wir Psychos jetzt die Monster, spätestens nach Ostern sind wir wieder die, die sich nicht so anstellen sollen und die, die müde auf Krankenschein sind.
Derweil hetzt die Journalle weiter und auch die Talkshow des Grauens wird heute abend die Katastrophe medial weiter verheizen und außer dummen Geschwätz keine Lösungsmöglichkeiten anbieten. Und während man quer durch den Blätterwald die Depressiven als Monster und potentielle Amokläufer stigmatisiert habe ich eine andere wichtige Frage die mich im Zusammenhang mit dem Unglück bewegt noch in keiner Zeitung beantwortet gesehen:
Wieso kann ein zu allem entschlossener Cockpit-Insasse den Zugang zum Cockpit verhindern? Sprich, wie bescheuert muß man sein, um so eine Cockpit-Tür zu konstruieren und einzubauen. Ja, ich weiß, diese „Sicherheitsmaßnahme“ ist der Terrorpanik seit 9/11 geschuldet und da es ja eine Anti-Terror-Maßnahme ist darf sie keinesfalls angezweifelt oder gar in Frage gestellt werden. Warum brauche ich so eine Panzertür, hat man kein Vertrauen mehr in die Personenkontrollen auf Flughäfen die es doch eigentlich unmöglich machen dass jemand Waffen oder sonstige schlimme Dinge ins Flugzeug bringt. Ganz abstrakt betrachtet muss man Fefe also recht geben:
Wenn sich also die Geschichte so bewahrheitet, wie sie gerade aussieht, dann hat es in Deutschland mehr Tote durch Antiterrormaßnahmen als durch Terrorismus gegeben.
Seltsam, dass keiner der Qualtitäsjournalisten ähnliche Gedanken formuliert. Lieber mit dem Strom schwimmen und auf dem Faktor Mensch rumreiten, denn das garantiert Auflage und Klickzahlen.
Aber die Frage, warum es immer mehr Leute mit Depressionen gibt und wie man damit umgeht stellt natürlich auch keiner. Eine Depression ist ja nicht so offensichtlich „krank“ wie ein Beinbruch und oft genug hört man leider, dass Depressive sich halt „nicht so haben“ sollen und eh nur einen faulen Lenz machen wollen. Solchen Vollpfosten wünsche ich, mal Depressionen selbst zu erleben, vielleicht verstehen sie dann, was diese Menschen durchmachen. Aber in unserer Ellenbogengesellschaft in der nur noch der Wettbewerb mit anderen zählt sind wir leider wohl Lichtjahre von einem vernünftigen Umgang mit depressiven Menschen entfernt.
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Einfach nur DANKE!
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