Unsere familiäre Situation bringt es mit sich, dass wir öfter mal von Augsburg nach Italien fahren. Wenn wir dann unterwegs sind können wir uns überlegen, ob wir „schnell“ sein wollen oder eher gemütlich unterwegs sein woll. Also ob wir beispielsweise in Österreich die Brenner-Bundesstraße 182 nehmen oder die Brennerautobahn A13. Für die Bundesstraße zahle ich nix extra, aber es zieht sich über viele kleine Dörfer hin und man braucht länger als man auf der Autobahn braucht (so diese frei ist). Für die Autobahn brauche ich aber einmal eine Vignette und zum anderen noch die Sondermaut für die Brennerautobahn. Die schnelle Fahrt nach Italien ist also teurer als die gemütliche Fahrt. Warum ich das alles erzähle? Weil wohl demnächst auch die „Fahrt auf den Datenautobahnen“ extra kosten wird.
Zumindest wenn es nach Telekom Chef Tim Höttges geht. Nachdem das EU-Parlament diese Woche den umstrittenen Gesetzentwurf zum digitalen Binnenmarkt beschlossen hat und damit die Netzneutralität faktisch abgeschafft hat muss der oberste Telekomiker wohl einen feuchten Traum bekommen haben und dreht jetzt in seiner Gier komplett am Rad. Denn er möchte nun „kleine Startups“ für die schnellere Durchleitung ihrer Daten zu Kasse bitten. In seinem Kontext sind kleine Startups übrigens Firmen wie Skype oder Whatsapp.
Und während ich als Autofahrer noch für die Benutzung der Autobahn einen kalkulierbaren Obolus entrichten muss hat Herr Höttges auch gleich einen tollen Business-Plan entwickelt der sehr große Ähnlichkeit zu dem Geschäftsmodell der Mafia hat. Denn er will „mit ein paar Prozent“ am Umsatz des Unternehmens beteiligt werden.
Bravo Herr Höttges, das haben sie ja wirklich mal so richtig bis zum Ende durch gedacht, oder? Denn was der Telekom lieb ist wird den anderen Netzanbietern billig sein, oder ist die Netzneutralität exklusiv nur für die Telekom torpediert worden? Gucken wir doch mal unter dem Stichwort Netzbetreiber nach, was das ist. Und dann sehen wir, es gibt globale Carrier, nationale Carrier, regionale Carrier und sogar City Carrier. Dieser Planet hat laut den Vereinten Nationen insgesamt 193 Nationen. Und alleine Deutschland hat drei nationale Carrier, nämlich neben der Telekom auch Mannesmann Arcor und Viag Interkom. So, und da ihre Idee mal schnell noch nebenbei Kasse zu machen so toll ist wird sie von allen übernommen. Sind ja nur ein paar Prozent vom Umsatz, gelle. Jedes Kindergartenkind kann ihnen ausrechnen, dass dann sehr schnell der Punkt erreicht ist an dem die Inhaltsanbieter weit mehr als 100% ihres Umsatzes an digitale Wegelagerer wie sie es sind abdrücken müssten.
Zum anderen wäre dann auch noch zu klären, wie denn genau ihr kostenpflichtiger Service aussehen soll. Die Erfahrung bei der Auto-Maut in anderen Ländern zeigt nämlich, dass die Mautstellen eigentlich genau der Flaschenhals sind der dann den Verkehr aufhält. Wenn man zur Hauptreisezeit von Süden kommend in Richtung Sterzing fährt, dann ist man gut beraten vielleicht schon in Brixen die Autobahn zu verlassen und die Landstraße zu nehmen, denn vor der Mautstation in Sterzing gibt es oft lange Staus die dann den ganzen Geschwindigkeitsvorteil der Autobahn zunichte machen.
Auch die digitale Wegelagerei des Hern Höttges muss irgendwie organisiert werden. Wenn aber Router nicht mehr nur Pakete durchleiten sondern anhand der Herkunft oder des Zieles auch noch entscheiden müssen, ob diese gedrosselt werden oder nicht sind Operationen notwendig welche die Latenz des Netzes erhöhen werden. Es steht also zu befürchten, dass wohl erst mal alle ausbremst um dann für die „Bezahler“ die Bremse zu lösen, denn es dürften weniger Bezahler sein als Nutzer. Und wenn sie den Bezahlern einen Service versprechen sollten sie dieses Versprechen auch halten können. Wie also wird sichergestellt werden, dass der Dienst X tatsächlich die Bandbreite bekommt für die er bezahlt? Ich kann mich noch gut erinnern, dass ich auch jahrelang DSL 6000 bezahlt habe was dann in der realen Welt knapp über 3000 bps kam. Ja, technisch geht halt nicht mehr. War aus Gründen der Fairness auch akzeptiert, aber jetzt werden die Bandagen härter werden. Wenn die Telekom Geld für Bandbreite will, dann sollte sie auch in der Lage sein, diesen Service technisch zu erfüllen. Und das wird an vielen Stellen eng werden.
Natürlich kostet Infrastruktur Geld. Aber dieses Geld ist bereits bezahlt und der Betrieb eines Netzes ist, wenn es mal steht eigentlich relativ unabhängig vom tatsächlichen Traffic. Die Router brauchen nicht mehr oder weniger Strom wenn jetzt viel oder wenig Traffic anliegt. Und für Servicequalität bei Diensten die niedrige Latenz brauchen hat man durchaus heute schon Methoden um das sicherzustellen und Pakete zu priorisieren. Nur hängt davon eben kein Business-Modell ab sondern es ist einfach fair use. Sprich: Meine Mail kann auch mal „langsam“ unterwegs sein, sie wird trotzdem schnell genug beim Empfänger sein. Ein Videostream hingegen sollte nicht ruckeln. Also priorisieren wir den per QoS (Quality of Service) höher.
Und nun? Eigentlich wäre der angemessene Kommentar auf den Vorschlag des obersten Telekomikers das berühmte „Geh sterben“. Aber dank der unfähigen Lobbyhuren im EU-Parlament haben wir nun eine Situation in der die Telekom ihre Wegelagerei sozusagen vollkommen „legitim“ ausüben kann. Es ist schnell und vor allem ohne besonderen Aufwand zu verdienendes Geld. Wenn sich denn einer findet, der sich tatsächlich abzocken lässt.
Mögliche Gegenmaßnahmen wären ja beispielsweise, dass die „Startups“ einfach keine Verbindungen aus dem Netz der Telekom mehr zulassen. Mal sehen wie lange die Telekom den Shitstorm aushält wenn ihre Kunden plötzlich nicht mehr YouTube gucken können oder per Whatsapp chatten.
Mit dieser Geschäftsidee hat die Telekom jedenfalls mal wieder eindrücklich bewiesen, warum Infrastruktur nicht von privaten Unternehmen betrieben werden sollte. Und warum es sehr schlecht ist, wenn die Politik nur noch die Interessen der großen Lobbyverbände vertritt.
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