München im Ausnahmezustand

Was gestern abend in München passiert ist macht einen extrem traurig und fassungslos. Und dank der modernen Nachrichtenmedien war man mehr oder weniger „live“ dabei. Julia hat in ihrem Blog schon sehr schön die positiven Aspekte der Krisenkommunkation gezeigt, ich möchte das aber durch ein paar eigene Gedanken noch ergänzen.

Twitter hat alle anderen Nachrichtenmedien wieder gnadenlos abgehängt. Während man auf Google News noch lesen konnte, dass ein 15-jähriger ertrunken ist war auf Twitter sozusagen schon die Hölle los. Man schaut ungläubig auf den Hashtag #OEZ und es entfaltet sich ein Schreckenszenario. München im Ausnahmezustand, öffentlicher Nahverkehr eingestellt, Bahnhof evakuiert und mögliche weitere Schießereien am Stachus oder Marienplatz (was sich zum Glück dann doch nicht bestätigte).

Makaber war ein Tweet des Bayerischen Rundfunkes relativ kurz nachdem die Nachrichten zum #OEZ kamen. Da fragte man doch tatsächlich, ob jemand vor Ort sei und via Periscope einen LiveStream bieten könnte. Autsch. Tatsächlich gab es solche Livestreams und es war für mich total bizarr zu sehen, wie die SEK-Einheiten rund um das Einkaufszentrum postiert sind und auf der anderen Straßenseite etliche Leute stehen die das mit dem Handy filmen oder gar einen LiveStream senden. Hallo Leute, ist euch eigentlich bewusst, dass eine Kugel aus einer Pistole eine Reichweite von ungefähr 1,5 km hat? Da würde ich jetzt nicht wirklich mich auf der anderen Straßenseite postieren wenn ich weiß, dass da drüben evtl. jemand scharf schießt und keine Hemmungen hat auf irgendwen zu feuern. Und es macht dantürlich den Einsatz für die Polizei und Retter nicht einfacher, wenn da etliche rumstehen und filmen. Und dabei eben ihre eigene Sicherheit total vernachlässigen.

Makaber finde ich persönlich dann auch die Begriffe „LiveStream“ oder „Liveticker“ oder „Liveblog“. Wenn man bedenkt, dass da gerade Menschen auf grausame Weise umgebracht wurden und eventuell noch werden, dann ist „Live$irgendwas“ irgendwie sehr bizarr, oder?

Sehr bizarr ging es dann auch auf den Hashtags #OEZ oder #München weiter. Es war noch nicht einmal klar, wieviele Tote und Verletzte es zu beklagen gibt, da tauchten sie schon auf, diese Propagandaparolen der „Alternative für Dummköpfe“ die sofort wieder dien Vorfall mit den Flüchtlingen verknüpfen wollten und wieder und wieder ihre widerlichen Hetzparolen absonderten. Wie so ein pawlowscher Hund, kaum passiert etwas müssen es zwangsläufig wieder Menschen mit Migrationshintergrund sein die daran schuld sind. Wobei die Faktenlage total egal ist, man hetzt einfach. Harry G. Frankfurt würde das als die klassische Definition von Bullshit ansehen.

Am Tag danach kann man scheinbar wieder zum Normalzustand übergehen. Der Täter war wohl ein Einzeltäter und hat sich am Ende selbst erschossen. Das OEZ ist wohl weiterhin gesperrrt, es sind Menschen gestorben und obwohl der Täter identifiziert scheint beginnt nun die mühevolle Arbeit der Spurensicherung, die jetzt jede Patronenhülse markieren muss, jedes Einschußloch katalosieren muss. Und auch die Rechtsmediziner werden einige Sonderschichten machen müssen um alle Kugeln aus den Opfern herauszuholen und zur kriminaltechnischen Untersuchung zu schicken, denn nur dann wenn zweifelsfrei klar ist, dass alle Opfer von einer Waffe getroffen wurde kann man die Einzeltäterannahme verifizieren. Die letzten Tage und Wochen des Täters werden intensiv untersucht werden, denn noch ist ja leider absolut unklar, warum jemand so durchdreht und einfach andere Menschen erschießt. Und auch die Opfer wird man „abklappern“ müssen, ob es sich um echte Zufallsopfer handelt oder irgendwelche Querverbindungen zum Täter existieren. Alles kein leichter Job, aber es besteht die Hoffnung, dass die Polizei da nun tun kann ohne ständig von Journalisten belagert zu werden, die im Sekundentakt ihre „Live-Blogs“ befüttern wollen.

Natürlich ist auch zu untersuchen wie ein 18-jähriger an eine scharfe Waffe und die dazugehörige Munition kommt. Das es sich nicht um eine legale Waffe handelt dürfte relativ sicher sein, denn es heißt ja dass die Seriennummer der Waffe herausgeschliffen wurde. Als Sportschütze fürche ich natürlich jetzt auch wieder, dass sofort wieder irgendwer nach einer weiteren Verschärfung des Waffenrechts rufen wird, obowhl hier eine Waffe genutzt wurde, die auch mit noch so vielen Verschärfungen des Waffenrechts nicht verschwinden wird. Auf der anderen Seite scheint es auch Leute zu geben, die jetzt nach einer Liberalisierung des Waffenrechts rufen, so nach dem Motto hätten merhere im OEZ eine Waffe gehabt, dann hätten sie sich ja verteidigen können. Das ist leider unterstes NRA-Propaganda-Niveau. Unser Waffenrecht tut gut daran, den Zugang zu Waffen stren gzu reglementieren, im anderen Fall hätten wir dann wohl bald Zustände wie in den USA wo es fast täglich zu „Mass-Shootings“ kommt.

Die Vorfälle in München machen fassungslos und wenn ich sehe, dass hier hautpsächlich Jugendliche die Opfer waren, dann leide ich mit den Eltern, die ihre Kinder verloren haben. Der Täter dürfte mit seiner Wahnsinnstat nicht nur 9 Menschen getötet haben, sondern etliche Familien zerstört haben und viele andere die vor Ort waren traumatisiert haben.

Die Frage ist, wie wir als Gesellschaft nun reagieren? Nach dem Axtangriff bei Würzburg nun 9 Tote in München. Müssen wir Angst haben, uns in der Öffentlichkeit zu bewegen? Die Schere im Kopf ist da, auch bei mir. Letzten Sonntag war ich mit meinem Sohn in München und habe dann überlegt, ob wir mal zum Flughafen raus sollten, denn da gibt es ja die ewig langen Laufbänder, das wäre was für ihn der Rolltreppen und Rollbänder so gerne hat. Aber im Unterbewusstsein mahnt eine Stimme die meint, ein Flughafen wäre im Falle eines Terroranschlages eines der bevorzugten Ziele und man fährt dann doch lieber nur Straßenbahn statt an den Flughafen zu gehen. Es ist komplett irrational und auf einer rationalen Ebene weiß man das auch. Trotzdem haben es die ständigen Terrorwarnungen und die diversen Anschläge auch hier in Europa nun bewirkt, dass die Schere im Kopf immer weiter aufgeht. Und man eben verunsichert ist.

Letztlich bleibt mir nur zu hoffen, dass es irgendwann auch mal wieder „normal“ wird. Vor einer Woche wollte ich am Freitagabend früh ins Bett und wurde von dem Putschversuch in der Türkei überrascht der mich dann nicht einschlafen ließ. Diese Woche war es der Amoklauf von München. Da fängt man an, sich das Sommerloch zurück zu wünschen, diese Zeit in der es schon eine Nachrichtenmeldung wert war wenn irgendwo ein Blumentopf umfällt oder ein Maschendrahtzaun kaputt geht. Und man fragt sich unwillkürlich, wie verrückt und abgedreht die Welt mittlerweile ist.

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2 Gedanken zu „München im Ausnahmezustand

  1. Die Tat in München und das Chaos hat mich auch fassungslos gemacht. Nach wie vor ungeklärt ist die Frage, woher der Täter die Waffe erhalten hat.
    Was mich auch fassungslos gemacht hat, war die unsäglich peinliche Berichtserstattung in der Tagesschau um 20.00 Uhr. Es hat mir derart weh getan, dass ich auf BBC4 in die Nachrichten um geschaltet habe und dort seltsamerweise fundiertere Infos erhalten habe als aus unseren ÖR. Das, was die Tagesschow abgezogen hat, war Muppets-Show life, wenn es nicht so ernst gewesen wäre.

  2. Wenn du wirklich fundierte Informationen willst dann solltest du erst am nächsten Tag einschalten.

    Als Münchner der auf seine Frau wartete konnte ich nicht so lange warten und war froh über die Berichterstattung der ARD.

    Die BBC sehe ich sehr gerne, aber nur um das klar zu stellen: Die BBC hat die Erstürmung der Fabrikhalle indem sich einer der Paris Attentäter verschanzt hatte, live übertragen. Stilecht mit vermummten Polizisten auf dem Dach im Moment des Zugriffs. Woher ich das weiß? Ich hatte BBC an als das passierte.

    Ich halte so eine pauschale Unterstellung für vollkommenen Quatsch. Gerade weil auch der DLR zum ÖR gehört.

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