Die Würde des Menschen ist was?

Unantastbar, sagt das Grundgesetz  im allerersten Satz des Artikel 1. Letzte Woche sind jedoch in diesem Staat Dinge passiert, die mich zweifeln lassen ob diese Aussage tatsächlich in der täglichen Praxis Bestand hat.  Unser Staat hat junge Menschen aus Unterrichtsräumen geholt um sie abzuschieben.

Im Fall eines Berufschülers in Nürnberg der nach Afghanistan abgeschoben werden sollte eskalierte die Situation dann, weil dessen Schulkameraden Widerstand leisteten. Denn am Vortag gab es in Afghanistan einen Terroranschlag mit mindestens 80 Toten und auch die deutsche Botschaft war betroffen. Abschiebung in ein „sicheres Land“?

Im Bericht zu den Ereignissen in Nürnberg liest man dann auch folgendes:

Als ich auf dem Boden lag und ein Polizist meinen Kopf gegen den Asphalt drückte, habe ich gesehen, wie die Polizisten den Afghanen an den Beinen trugen und zogen, um ihn ins nächste Auto zu schaffen. In diesem Moment wurde mir klar: Die Würde eines Menschen ist doch antastbar.“

Noch betroffener hat mich aber eine Aktion in Duisburg gemacht, bei der eine 14-jährige Schülerin aus ihrer Klasse geholt wurde um dann abgeschoben zu werden. In meiner ohnmächtigen Wut über diesen Vorfall habe ich mich dann abends noch zu diesem Tweet hinreißen lassen:

https://twitter.com/kinghaunst/status/870012843055235072

In den folgenden Tagen wurde mir dann von diversen Seiten erklärt, dass

  • es keinen Paragraphen im Jugendschutzgesetz gibt, der den Aufenhalt im Freien verbietet. Ja, stimmt, aber in dem Moment wo man in eine Disco will oder zu sonst einer Veranstaltung ist ohne die Begleitung von Erziehungsberechtiten um 22:00 Ende. Einer hat mir angesichts dieses Satzes sogar die Mitgliedschaft bei der identitären Bewegung unterstellt, was natürlich absoluter Blödsinn ist.
  • Nepal ist offiziell kein Kriegsgebiet. Trotzdem gibt es vom Auswärtigen Amt aktuell sehr deutliche Sicherheitshinweise zu Reisen nach Nepal.

Auch wenn inhaltlich nicht vollständig korrekt, so scheint dieser Tweet doch einen Nerv getroffen zu haben was mehr als 1200 Likes und mehr als 500 Retweets zeigen.

Für mich ist es erschütternd, dass hier offensichtlich bestens integrierte Menschen einfach gepackt und in einen Flieger gesetzt werden (die Abschiebung des jungen Mannes nach Afghanistan wurde allerdings gestoppt). Das ist in etwa so, wie wenn ich in meinem Arbeitszimmer im Keller eine Spinne oder Ameise finde (kommt immer wieder mal vor), dann nehme ich das Tier auch und setzte es einfach vor die Tür, nach dem Motto „hier lebe ich und Du lebst draußen“.

Als wir aber beispielsweise neulich auf unserer Terrasse ein Vogelnest mit jungen Vögeln vorfanden war klar, dass ich das jetzt nicht einfach an einen Ort verfrachte wo es mich weniger stört, sondern dass ich für die Zeit bis die Vögel das Nest verlassen einfach mal Rücksicht auf diese überraschenden Mitbewohner nehme und mich freue, die Entwicklung sozusagen aus nächster Nähe miterleben zu dürfen.

Und im Falle von Abschiebungen gehen wir mit Angehörigen unserer eigenen Spezies so um wie mit lästigen Insekten? Bivsi das Mädchen aus Duisburg (dort geboren und 14 Jahre dort gelebt, im Gymnasium, also wirklich bestens integriert) wird einfach mit ihren Eltern nach Nepal verfrachtet. Wie es ihr dort geht zeigt dieses Interview via Skype.

Erschütternd ist für mich auch die Aussage der „Offiziellen“, dass die Eltern kein Bleiberecht hätten, da ihre Asylanträge abgelehnt wurden und da sie immer wieder dagegen geklagt hatten ist so viel Zeit verstrichen. Als ob die Eltern daran schuld wären, dass die Mühlen des Staates so langsam arbeiten. Und man liest auch, dass man die Familie letztendlich abgeschoben hat weil sie ursprünglich falsche Angaben zu ihrer Identität gemacht hätten. Ob es persönliche Gründe wie Angst vor Verfolgung für diese Verschleierung der Identität gab ist jedoch nicht erörtert worden.

Fazit ist, dass diese Familie nach vielen Jahren in denen sie hier lebte einfach abgeschoben wurde. Bivsi, obwohl hier geboren wird einfach zusammen mit den Eltern abgeschoben, denn natürlich müssen wir diese Falschangaben von damals irgendwie sanktioniern. Im Falle des Kindes fällt mir dazu nur der Begriff „Sippenhaft“ ein.

Hat überhaupt in diesem ganzen Verfahren irgendwer die Persönlichkeitsrechte des Kindes geprüft? Das Mädchen ist hier geboren, lebte seit 14 Jahren hier, spricht fließend Deutsch. Welchen rechtlichen Status hat sie? Hätte sie angesichts von 14 Jahren geduldetem Aufenthalt hier in Deutschland nicht sogar einen Antrag auf Einbürgerung stellen können, der ja nach 8 Jahren Aufenhalt hier möglich wäre.

Interessieren würde mich auch, wie so eine Abschiebung üerhaupt logistisch abläuft. Eine Familie die seit vielen Jahren hier lebt schläft ja nicht auf der Parkbank. Was passiert nach der Abschiebung mit ihrer Wohnung, ihrem Hausrat (den sie ja offensichtlich nicht mitnehmen durfte), ihren diversen vertraglichen Verpflichtungen (Mietvertag, Handyvertag usw.). Werden Abgeschobene also zwangsenteignet?

Dieser ganze Vorgang erfüllt mich mit Abscheu gegenüber Politikern die so etwas veranlassen, es drängt sich förmlich der Verdacht auf, dass man hier versucht im rechten Sumpf nach Wählerstimmen zu fischen indem man Abschiebungen rigoros durchsetzt.

Natürlich könnte man argumentieren, dass die Asylanträge der Eltern abgelehnt wurden, sie daher keine Aufenthaltsberechtigung hätten. Wenn man aber die Wikipedia-Seite zu Nepal anschaut findet man Säzte wie:

Von 1996 bis 2006 befand sich die Kommunistische Partei Nepals (Maoistisch) in einem Bürgerkrieg gegen die Monarchie und das hinduistische Kastensystem.

Das legt die Vermutung nahe, dass zur Zeit des ersten Asylantrags durchaus Gründe vorlagen die eine Gewährung von Asyl gerechtfertigt hätten. Aber das Asylrecht war und ist ja schon immer ein Sorgenkind in unserem Land, das war auch schon zu meiner lange zurückliegenden Studienzeit so als ich mich danals ein wenig bei Amnesty International engagiert habe.

Letzlich hat man mit dieser Aktion einem jungen Menschen die Zukunft geraubt. Indem man ihn behandelt hat, wie ein lästiges Insekt, welches man einfach vor die Türe setzt. Und noch schlimmer, man hat Bivsi nicht einmal als Person behandelt, sondern einfach nur als Anhängsel ihrer Eltern.

Warum kann man Bivsi nicht die deutsche Staatsbürgerschaft geben? Sie ist hier geboren, hier aufgewachsen, hat hier ihr soziales Umfeld. Dieses Umfeld wurde ihr nun genommen und das in der Entwicklungsphase der Pubertät, also einer Zeit in der Jugendliche es eh nicht leicht haben. Ja, das deutsche Jugendschutzgesetz schützt unsere Kinder vor sittlicher Verrohung, scheint hier aber nicht zu greifen.

Und wenn Bivsi ganz offiziell Deutsche wäre, dann könnte man sogar aus Artikel 6 GG ein Bleiberecht für die Eltern herleiten. Denn in Absatz 2 heißt es ganz klar:

Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

Und mit Absatz 3 kann man sehr schön gegen eine isolierte Abschiebung der Eltern argumentieren:

Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

Und jetzt? Gemäß irgendwelcher Paragraphen kann man möglicherweise argumentieren, dass die Abschiebung „legal“ war, aber mein moralischer Kompass zeigt mir ganz heftig an, dass diese Maßnahme einfach falsch ist. Und dann muss ich mich halt an Bertold Brecht halten, der ja schon festgestellt hat:

Wo Unrecht zum Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht.

Mittlerweile läuft auch eine Petition mit dem Ziel Bivsi und ihre Familie wieder nach Deutschland zurück zu holen.  Ein Anliegen dem ich mich nur anschließen kann.

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