Reißleine gezogen

Wir leben in interessanten Zeiten. Am 6. Januar wurden wir Zeuge, wie ein amtierender Präsident den Putsch gegen die demokratischen Institutionen seines Landes versucht und zum Glück dabei scheitert. Dennoch hat dieser Versuch 5 Menschen das Leben gekostet und bedarf dringend der gerichtlichen und parlamentarischen Aufarbeitung in den USA. Im Zuge dieser Aktionen haben dann auch etliche große Plattformen die Accounts von Donald Trump gesperrt, angefangen bei Facebook und Instagram und am Ende ist er sogar seinen heißgeliebten Twitter-Account los geworden. Ein längst notwendiger Schritt, der nun zwar spät kam, aber immerhin. Auf der anderen Seite hat diese Sperre eine Diskussion getriggert, ob Internet-Konzerne so viel Macht haben dürfen, dass sie selbst Präsidenten sperren. Da möchte ich nun auch meine „Senf“ dazu geben.

Mein Haus, meine Regeln

Die einfachste Erklärung ist wohl, dass jede dieser Plattformen ihre Nutzungsbedingungen hat und wer dagegen verstößt muss eben mit Konsequenzen rechnen. Ja, ich bin auch schon mal für 12 Stunden bei Twitter gesperrt worden weil ich in einer Diskussion den Usenet-Jargon „Geh sterben“ benutzt hatte. Ärgerlich und blöd, aber ok, das nächste mal werde ich mich bemühen, keine Jargons mehr zu verwenden die deutlich aus der Zeit vor der Geburt von Twitter kommen. Unabhängig davon ist das einfach das Durchsetzen der eigenen Regeln. Wenn Du mich hier in meinem Haus besuchst (also nach Corona) und dann hier anfängst rumzupöbeln, dann fliegst Du auch hochkantig raus. So einfach ist das.

Aber diese Macht

Viele haben jetzt Angst, dass die Plattformbetreiber hier eine zu große Macht ausüben, wenn sie einfach einem amtierenden Präsidenten den Account sperren. Nun, hier möchte ich mal anmerken, dass der Spruch „with great power comes great responsibility“ auch hier gilt. Und ich trotz mancher unverständlicher Twittersperren die leider immer wieder passieren (overblocking) durchaus davon ausgehe, dass sich die Betreiber hier ihrer Verantwortung durchaus bewusst sind. Und gerade bei Trump kann man ja sagen, dass der jahrelang eine riesige Narrenfreiheit auf Twitter hatte. Was womöglich auch dem Geschäftsmodell der Sozialen Netzwerke geschuldet ist, denn deren erklärtes Ziel ist ja, dass der User möglichst viel Zeit bei ihnen verbringt. Und da ist so ein „Bully“ wie Trump natürlich ideal geeignet um die Leute zu „unterhalten“.

Auf der anderen Seite muss man natürlich auch hier die Frage stellen, wie will man das anders regeln? Soll jede Twittersperre von einem Gericht bestätigt werden? Dann wären unsere Gerichte bis zum Sankt-Nimmerleinstag nur mit so einem Kram beschäftigt. Oder soll Twitter bei jeder Sperre 12 zufällig ausgewählte Nutzer als „Geschworene“ verpflichten die dann mehrheitlich darüber befinden müssen, ob eine Sperre „rechtmäßig“ ist oder nicht?

Aber die freie Meinungsäußerung

Das nächste Argument ist dann, dass ja die freie Meinungsäußerung sabotiert wird, wenn man Accounts sperrt. Da frage ich als Blogger jetzt mal ganz einfach: Warum? Trump hat genügend Möglichkeiten weiterhin seine Statements unters Volk zu bringen, auch wenn er nicht mehr seinen privaten Twitter-Account nutzen darf. Er könnten noch als @POTUS twittern, oder Statements über die Webseiten der Regierung verbreiten, oder seinen Kumpel bei Fox-News „Exklusiv-Interviews“ geben. Ganz abgesehen davon natürlich, dass ein Aufruf zu einem Putsch gegen die Demokratie wohl nicht in die Kategorie „freie Meinungsäußerung“ fällt, sondern eher unter „Anstiftung zu einer Straftat“.

Das Internet ist nicht gleichbedeutend mit Twitter, Facebook, Instagram und YouTube. Ja, das sind tolle Plattformen und man kann viel Zeit damit verbringen. Wenn ich aber meine Meinung zu irgendwas ausdrücken will, dann kann ich die, so wie ich es jetzt gerade tue, in mein Blog schreiben. Natürlich hat mein Blog nur ein geringe Reichweite, aber immerhin haben 875 Leute meinen RSS-Feed abonniert und werden diesen Artikel also sehen.

Und ja, auch wenn es jetzt eher unwahrscheinlich scheint, es ist durchaus im Bereich des Möglichen, dass die eine oder andere Social-Media-Plattform auch wieder verschwinden wird. Wer erinnert sich noch an „MySpace“ oder ähnliche Dienste, die dann irgendwann wieder eingestellt wurden weil das Geschäftsmodell nicht aufging.

Aber es werden Leute zum Schweigen gebracht

Ein weiteres Argument was mir in dieser Diskussion aufgefallen ist lautet, dass man ja auch ganz bequem Oppositionelle zum Schweigen bringen könnte und somit die politische Diskussion sabotieren könnte. So hat Alexej Nawalny die Sperre von Trump als einen Akt der Zensur kritisiert und fürchtet, dass nun mit dem Argument „Sogar der Präsident der USA wurde gesperrt“ die Redefreiheit beschnitten werden kann.

An dieser Stelle muss ich leider sagen, dass Herr Nawalny hier ziemlich Populismus betreibt. Zensur wäre es, wenn die Regierung eine solche Sperre verhängen würde, aber auch nur dann, wenn sie diese auf allen möglichen Kanälen auch durchsetzen würde. Ansonsten gilt das, was oben bereits zum Thema Meinungsfeiheit gesagt wurde.

Und was das Thema „Leute zum Schweigen bringen“ angeht, da sollte man nicht vergessen, dass viele wichtige Stimmen in den sozialen Netzen „verstummen“ weil sie täglich vielfacher Hetze, Hassbotschaften oder gar Morddrohungen ausgesetzt sind. Ich habe mich neulich mal erdreistet unter einen Tweet von Sawsan Chebli ein paar freundlichen Worte zu schreiben und daraufhin einen kleinen Teil des täglichen Hasses abbekommen, den Dingen die Frau Chebli wohl jeden Tag hundertfach sieht. Und ich denke, es gehört sehr viel Kraft dazu, hier jeden Tag trotzdem seinen Standpunkt zu vertreten, leider habe ich eben schon Leute verschwinden sehen, weil sie sich nicht mehr diesem Hass aussetzen wollen. Hier werden auch Leute „zum Schweigen gebracht“ indem man sie konstant mit Hassbotschaften bombardiert und ja, für solche „Hater“ würde ich mir sehr wünschen, wenn die ohne viel Aufhebens ihren Account gesperrt bekommen. Was allerdings kaum was helfen wird, denn viele der Hater-Accounts die ich im Rahme dieses Vorfalls gesehen habe waren wohl nur ein paar Tage alt, mit wenig Followern, also frisch angelegt um sich auf die Zielperson einzuschießen und alle die dieser Person wohlwollend gesinnt sind dann auch mit Hassbotschaften zu überziehen.

Soweit mein Kommentar zur Twittersperre für Donald Trump. Und natürlich, wie auch bei anderen Sperren gibt es den Hashtag „#FreeDonaldTrump“ unter dem sich seine Anhänger formieren und ein Aufheben der Sperre fordern. Mal sehen ob sich Jack Dorsey davon beeindrucken lässt…