Was haben wir andere Länder doch als „rückständig“ und „mittelalterlich“ angesehen, als wir gelesen haben, dass dort der Kreationismus an den Schulen unterrichtet wird und die Evolutionstheorie eher unerwünscht ist. Doch gestern lief eine Meldung durch Twitter, dass Nordrhein-Westfalen nun Sozialwissenschaften streichen will und das durch das Fach Wirtschaftspolitik ersetzen will.
Also habe ich mal die Suchmaschine meiner Wahl bemüht und geschaut, was da genau geplant ist. Es geht wohl weniger um das Fach an den Schulen sondern vielmehr darum, dass das Fach „Sozialwissenschaften“ im Lehramtsstudium gestrichen werden soll und statt dessen das Fach „Wirtschafts-Politik“ aufgenommen werden soll. Auch die Deutsche Gesellschaft für Soziologie protestiert heftig gegen diesen Plan.
Auf der anderen Seite finde ich bei der Wirtschaftswoche ein Interview vom August 2020 das eigentlich besagt, dass das Fach „Wirtschaft“ bereits in diesem Schuljahr an den weiterführenden Schulen in NRW eingeführt wurde. Das Fach das eigentlich nur mit entsprechender Qualifikation, eben dem Fach Wirtschaftspolitik im Lehramtsstudium, unterrichtet werden kann.
In diesem Interview erklärt uns dann der FDP-Staatssekretär Mathias Richter die neuen Schwerpunkte im „Kernlehrplan“. Die will ich mal kurz der Reihe nach auflisten und meinen Kommentar als alter Mann mit fast 60 Jahren auf dem Buckel dazu schreiben.
Beim Stichwort „Soziale Marktwirtschaft“ höre ich leider ganz laut die INSM (Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft) trapsen, ein ThinkTank dem es nicht unbedingt darum geht um soziale Probleme mit Marktwirtschaft zu lösen, sondern nach meinem Eindruck eher darum, Euphemismen zu verbreiten. Denn eine tatsächliche soziale Martkwirtschaft haben wir nach meiner Meinung nicht, die wurde von der Schröder Regierung mit der Agenda 2010 beerdigt und die „Probleme“ wurden ins Prekariat geschickt.
Die Begriffe „Handwerk“ und „Mittelstand“ sagen ja erst mal nicht viel aus. Ich sehe das eher als Platzhalter.
Ganz anders beim Thema „Betriebswirtschaftslehre“. Damit wurde ich leider in meinem Studium auch gequält und musste auch in vielen Jahren Beruf immer wieder heftig den Kopf schütteln angesichts von „betriebswirtschaftlichen“ Entscheidungen die ja in letzter Konsequenz im letzten Jahr auch zum Verlust meines Arbeitsplatzes geführt haben. Das Grundproblem beim Fokus auf Betriebswirtschaft ist das Mantra der Gewinnmaximierung. Jeder sogenannte Marktteilnehmer versucht das maximale an Gewinn für sich herauszuholen, streng nach dem Motto „Wenn jeder nur an sich denkt sich auch an alle gedacht“. Volkswirtschaftlich betrachtet ist das natürlich kompletter Unsinn, denn es gibt durchaus Faktoren wie die Daseinsvorsorge die eben nicht „betriebswirtschaftlich“ zu lösen sind. Viele der Probleme die uns jetzt in Zeiten der Pandemie im Gesundheitssektor sehr schmerzlich treffen sind dem Irrsinn geschuldet, dass das Gesundheitssystem zu einem „Profit-Center“ umgebaut wurde. Gerade wurde hier die Pflicht für FFP2-Masken beschlossen und schon gehen die Preise für FFP2 durch die Decke. Eine befreundete Unternehmerin meinte neulich, die Herstellungkosten für FFP2 liegen bei unfähr 0,25 Cent, das heißt, selbst die FFP2 zum absoluten Schnäppchenpreis von 1 € wäre 400x so teuer im Verkauf wie in der Herstellung.
Ganz große Bauchschmerzen bekomme ich beim den Stichworten „Gründung“ und „Entrepreneurship“. Im Rahmen meiner „Qualifizierungsmaßnahmen“ habe ich mir auch schon zwei „Gründerseminare“ gegönnt, nicht uninteressant, aber auf der anderen Seite sind das Dinge, die ich jetzt nicht unbedingt in der Schule unterrichten würde. Denn wer tatsächlich den Weg in die Selbständigkeit wählt kann das dazu notwendige Wissen durchaus in ein paar Seminiren erwerben, für alle anderen ist erst mal nutzloses Zeug das sie später wohl nie brauchen werden.
Daher muss die Frage gestellt werden, was mit diesem neuen Unterrichtsfach „Wirtschaft“ an den Schulen bezweckt werden soll. Ich kann jedem nur nahelegen, diesen Twitter-Thread der Lehrerin Bahar Aslan zu lesen. Und es erscheint mir, dass der Preis für die Änderung im Lehrplan sehr hoch sein wird, denn wie Frau Aslan sehr richtig aufführt ist es eigentlich viel wichtiger, dass die Schulen den Schülern und Schülerinnen sogenannte „Soft-Skills“ wie kritisches Hinterfragen, Toleranz und Kritikfähigkeit beibringt, also Dinge die man bisher im Sozialkunde-Unterricht sehr gut machen konnte. Wir brauchen keine Abiturienten die perfekt das „downsize this“ und das ganze ökonmische Vokabular auswendig kennen, wir brauchen kritische Menschen die, gerade jetzt im Zeitalter der Fake-News und Verschwörungstheorien, auch über Dinge wie Medienkompetenz verfügen.
Wobei ich natürlich anmerken muss, das angesichts des Kurses von NRW-Schulministerin Gebauer in dieser Pandemie man durchaus den Eindruck gewinnen kann, dass die Funktion der Schule darin zu bestehen scheint tagsüber den Nachwuchs der „Arbeitsdrohnen“ zu beherbergen damit die Wirtschaft weiter unsinnige Dinge produzieren kann und als „Win-Win-Situation“ diesen Nachwuchs dann auch zu neuen, noch effizienteren „Arbeitsdrohnen“ auszubilden.