Eigentlich wollte ich mir einen gemütlichen Sonntagnachmittag machen, aber da gibt es einiges was raus muss und das einige ist auch deutlich zu viel für einen kleinen Twitter-Thread. Es geht um unseren Bundestagswahlkampf, der mittlerweile dank Springer-Presse und Union zu einer wahren Schlammschlacht verkommt.
Alle gegen Annalena Baerbock
Seit die Grünen Annalena Baerbock zu ihrer Kanzlerkandidatin gekürt haben wird sie aktiv angefeindet und bekämpft. Eine junge Frau schickt sich an, den „alten weißen Männern“ die Stirn zu bieten und sie hat das Vertrauen ihrer Partei. Das geht ja nun gar nicht, immerhin war die Kür des Unions-Kanzlerkandidaten eine weitaus schwierigere Geburt und da muss man Kontra geben.
Also arbeitet man sich am Lebenslauf von Frau Baerbock ab. Manche sprechen von „Lügen“, manche von „Ungenauigkeiten“. Der Vorwurf der Lüge wiegt schwer und kann wohl kaum bewiesen werden. Außerdem ist hoffentlich jedem klar, dass (m)ein Lebenslauf kein amtliches Führungszeugnis ist, sondern die Werbebroschüre für (m)eine Person. Da ich ja letztes Jahr meinen Job verloren hatte kam ich auch in den Genuss eines Bewerbertrainings und da lernt man tatsächlich, wie man seine Lebenslauf so gestaltet, dass er „gut“ aussieht. Natürlich darf man nicht falsche Tatsachen behaupten, würde ich mir z.B. einen Doktortitel andichten den ich nicht habe wäre das ein Straftatbestand. Aber wenn ich den Namen von Vereinen die ich fördere falsch schreibe, dann ist das jetzt nicht wirklich ein Beinbruch. Auch wenn die politischen Gegner von Frau Baerbock das genauso auszuschlachten Versuchen wie damals im Wahlkampf Trump gegen Hillary Clinton auf den Emails von Frau Clinton rumgeritten wurde.
Die 10 Gebote
Die nächste Eskalationsstufe in dieser Schlammschlacht war dann eine großflächige Anzeige der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ die Frau Baerbock als „Moses“ verkleidet mit 2 Steintafeln mit neuen Geboten zeigt. Der Text dazu wahlweise „Warum uns grüne Verbote nicht ins gelobte Land führen“ und weil das offensichtlich ein zu langer Text für die Aufmerksamkeitsspanne ist dann auch „Wir brauchen keine Staatsreliigion„. Sagt genau der Verein, der am liebsten den Neoliberalismus zur Staatsreligion erklären würde.
So eine Anzeigenkampagne in Printmedien ist nicht ganz billig. Man schätzt, dass diese wohl in der Größenordnung von einer halben Millionen Euro liegen wird. Ein ganz schöner Batzen Geld. Da stellt sich mir die Frage, warum man so viel Angst vor einer Kanzlerin Baerbock hat. Immerhin leben wir in einer Demokratie und auch eine grüne Bundesregierung wird nicht „frei Schnauze“ regieren können sondern immer Kompromisse finden müssen.
Nächste Haltestelle Antisemitismus
Als wäre das nicht genug kam es gestern zu einem weiteren Zwischenfall, der den Leuten recht gibt, die vermuten, dass die Springer-Medien die Rolle von Fox-News im Wahlkampf einnehmen wollen. Was war passiert? Die Publizistin Carolin Emcke hielt auf dem Parteitag der Grünen eine Rede und machte dabei eine Aufzählung der Feinbilder der Rechtsradikalen. Den genauen Text könnt ihr hier im Spiegel-Artikel nachlesen. Und kaum waren die Worte „Juden“ und „Klimaforscher“ in einem Satz gefallen triggerte das die Bild-Zeitungsredaktion was zu einem heftigen Shitstorm mit dem Vorwurf, dass Frau Emcke hier den Holocaust relativiert und Juden mit Klimaforschern vergleichen würde, führte.
Ja, natürlich fehlt es dem durchschnittlichen Bildzeitungsleser an der intellektuellen Reife, die Worte von Frau Emcke auch nur ansatzweise zu verstehen. Aber zeigt sehr deutlich wo die Springer-Presse in diesem Wahlkampf steht und dass sie nur darauf wartet, dass im Umfeld der Grünen irgend etwas passiert, was man propagandistisch ausschlachten kann.
Parteiprogramme, welche Parteiprogramme?
So arbeitet man sich auch am Parteiprogramm der Grünen ab und weist empört darauf hin, dass die Grünen planen den Benzinpreis um 16 Cent zu erhöhen. Dass die Bundesregierung sowieso eine Preiserhöhung um 15 Cent beschlossen hat wird dabei komplett ignoriert und auch die Pläne der Grünen, Einnahmen aus höheren CO2 Preisen wieder direkt an die Bürger auzuschütten, was für Bezieher von niedrigen bis mittleren Einkommen sogar ein Plus beim Einkommen bedeuten würde.
Auf der anderen Seite kann die Union bislang noch kein Parteiprogramm vorweisen, es heißt, das die Generalsekretäre Paul Ziemiak (CDU) und Markus Blume (CSU) an einem gemeinsamen Parteiprogramm für die Bundestagswahl schreiben, das allerdings noch geheim ist und welches daher auch keiner argumentatorisch zerlegen kann.
Natürlich ist mir klar, dass Ziemiak und Blume hier eigentlich eine Mission Impossible haben. Die Corona Krise hat sehr deutlich offenbart, dass die Situation in der Pflege absolut desaströs ist, ebenso wie das Thema Digitalisierung in Schulen oder gar Gesundheitsämtern. Die Pandemie hat uns zu schnellen und damit komplett überteuerten Reaktionen gezwungen. Gleichzeitig geistern immer neue Enthüllungen über Unionspolitiker die sich mit Masken-Deals bereichert haben durch die Medien, oder auch der aktuelle Skandal mit den Schnelltests und den betrügerischen Abrechnungen. Dieser Trümmerhaufen ignoranter Politik ist nicht wegzudiskutieren und eben auch der Unions-Politik der vergangenen 16 Jahre anzulasten. Was schreibt man also in ein Wahlprogramm mit dem man den Wähler nochmals dazu bringen will einem die Stimme zu geben? Das muss ja fast die Geschichte wie vom Phoenix aus der Asche sein. Und wird der Wähler es glauben? Wird er glauben, dass die Union jetzt für den Klimaschutz ist nachdem sie unlängst vom Bundesverfasungsgericht abgewatscht wurden weil sie die Lasten des Klimawandels unverhältnismäßig stark auf die zukünftigen Generationen abladen? Ich habe da so meine Zweifel.
Flashback
Und doch, bei aller Empörung über die aktuelle Schlammschlacht dieses Wochenendes möchte ich nicht vergessen, welche fürchterliche Dinge im Frühjahr dieses Jahres passiert sind. Deutschland mit hohen Inzidenzen inmitten der dritten Welle und die Wissenschaft und auch viele Bürger haben förmlich darum gebettelt, dass wir einen Lockdown machen welcher diesen Namen tatsächlich verdient. Doch wichtige Entscheidungen wurden vertagt weil die Union in einem tagelangen internen Machtkampf damit beschäftigt war, ihren Kanzlerkandidaten zu bestimmen. Diese Verzögerung dürfte für etliche Corona-Tote verantwortlich sein. Und zumindest bei mir stellt sich immer wieder die Frage, ob Corona uns weniger schlimm erwischt hätte wenn dieses Jahr keine Bundestagswahl wäre.
Fazit
Ich hoffe in jedem Fall, dass Annalena Baerbock genügend Kraft und Energie hat um diese ständigen Anfeindungen zu überstehen. Denn natürlich macht es etwas mit einem Menschen, wenn man permanent mit Hass und Schmutz überschüttet wird. Daher hoffe ich, dass Annalena Baerbock das gesund übersteht. Ich habe leider schon zu viele wichtige Stimmen in den Sozialen Netzen verstummen sehen weil sie dem Druck durch die Hater nicht mehr stand hielten. Manche kamen glücklicherweise irgendwann wieder, aber es ist glaube ich unsere Verantwortung, hier dagegen zu halten und einen fairen und objektiven Wahlkampf einzufordern.
Und ja, ich werde meine Stimme im Hebst tatsächlich den Grünen geben, denn als alter Knacker habe ich keine Lust mehr auf eine Regierung aus alten Knackern. Annalena Baerbock hat das richtig Alter um uns in eine hoffentlich bessere Zukunft zu führen, ich gebe ihr von ganzem Herzen diese Chance.