Ein Hauch von Zukunft

Von Juni bis Anfang August hatten wir in Deutschland die Möglichkeit, für nur 9€ ein Ticket für den Nahverkehr kaufen das deutschlandweit gültig war. Selbstverständlich habe ich mir jeden Monat ein solches Ticket gezogen und möchte nun einen kleinen Nachruf darüber schreiben.

Wie oft habe ich es genutzt?

Anfang Juni war ich auf einer Konferenz in Nürnberg und konnte die Möglichkeiten des 9€-Tickets nutzen. Klar, der Arbeitgeber zahlt sowieso die Fahrkarte, aber ich war 3 Tage in Nürnberg unterwegs und musste den dortigen Nahverkehr nutzen. Ohne 9€-Ticket wäre das eine Menge Arbeit gewesen, nicht nur die jeweilige Verbindung raussuchen, sondern auch feststellen, welchen Fahrschein in welchem Tarif man dafür zahlen muss und ob vielleicht eine Tageskarte günstiger wäre als Einzelfahrscheine. All dieser Stress blieb mir dank 9€-Ticket einfach erspart, ich musste nur wissen welche Linie ich nutzen muss und mir keine Sorgen machen, aus Versehen vielleicht „schwarz“ zu fahren.

Hier in Augsburg hab eich das Ticket relativ selten genutzt. Einmal bin ich damit zu einer Info-Veranstaltung im Zeughaus gefahren und gelegentlich wenn ich zu Fuß in meinen Schützenverein unterwegs war und zufällig eine Straßenbahn vorbei kam konnte ich diese nutzen um mir ein wenig Lauferei bis zur nächsten Haltestelle zu sparen. Im August war unser Verein allerdings in der Sommerpause und als Home-Office-Worker habe ich somit das 9€-Ticket zwar gekauft aber überhaupt nicht genutzt.

Insgesamt also nicht viel, aber trotzdem war ich begeistert. Denn nicht nur ich konnte mal ausprobieren, wie stressfreier (in Bezug auf Tarifsysteme) Nahverkehr funktionieren kann. Auch viele der 14 Millionen armutsbetroffenen Menschen in Deutschland konnten es nutzen um Ausflüge zu machen oder Verwandte zu besuchen die sonst angesichts der Fahrtkosten schlicht unerreichbar wären.

Probleme

Natürlich gab und gibt es Probleme mit dem Nahverkehr. Nachdem wir jahrelang im Verkehrsministerium aufs Auto fixiert waren (und wohl immer noch sind) und bei der Bahn eher ab- statt aufgebaut haben gibt es natürlich eine Menge Menschen, die nicht viel vom Ticket hatten, denn sie sind lausig an den Nahverkehr angebunden. Und dort, wo Nahverkehr stattfindet, waren Züge oft komplett überfüllt. Ich selbst durfte dieses Ölsardienen-Feeling erleben als ich von Nürnberg mit dem Regionalexpress wieder nach Hause fuhr.

Naürlich sind hier zahlreiche Nachbesserungen notwendig, das konnte das Ticket in der Kürze der Zeit nicht ermöglichen. Allerdings muss man auch anmerken, dass viele Verbessrungen im Nahverkehr daran scheitern, dass ja angeblich keine Nachfrage vorhanden wäre und sich die Investition somit kaum lohnen würde. Das 9€-Ticket hat meines Erachtens schon gezeigt, dass Nachfrage für erschwinglichen ÖPNV da ist.

Kosten

Womit wir bei den Kosten wäre. Natürlich ist der Nahverkehr mit 9€ für einen Monat nicht zu finanzieren, der Staat (Bund und Länder) mussten also kräftig zuschießen. Allerdings ist mir an dieser Stelle nicht klar, wie der Verteilungsschlüssel aussieht. Wird für jedes verkaufte 9€-Ticket ein Betrag X an das Verkehrsunternehmen ausgeschüttet, oder verteilt man das Geld nach dem Gießkannenprinzip über alle Verkehrsuntenehmen? Die Kosten waren es dann wohl auch, die das Ende des 9€-Tickets besiegelt hatten, beziehungsweise die fehlende Flexibilität des Bundesfinanzministers, klimaschädliche Subventionen zu streichen und die Gelder dann für weitaus sinnvollere Projekte wie eben das 9€-Ticket zu verwenden.

Nutzen

Was in der Diskussion auch ziemlich untergeht ist der Nutzen des Tickets. Nicht nur die oben erwähnten Vorteile sind zu betrachten. Angefangen von den Ausflugsorten die nun von mehr Menschen besucht werden können welche dort vielleicht auch was kaufen bis hin zu den Effekten auf unser Klima. Wir hatten weniger Stau weil doch einige Leute auch mal den ÖPNV probiert hatten. Angesichts der durch den Klimawandel verursachten Katastrophen wäre es also eigentlich ein absoluter No-Brainer, alles Menschenmögliche zu tun damit der Nahverkehr eine wirklich attraktive Alternative zum Auto wird.

Auch die sozialen Aspekte sind keinesfalls zu vernachlässigen. Letztlich wurde damit Teilhabe am öffentlichen Leben ermöglicht, Abwechslung statt Alltagstrott. Wir haben in Artikel 11 die Freizügigkeit im Bundesgebiet definiert, allerdings wohl aktuell nur für diejenige die es sich leisten können. Warum definieren wir kein Grundrecht auf Mobilität? Es gibt Studien die besagen, dass jeder PKW den Steuerzahler 5000€ kostet, was mehr ist als aktuell eine Bahncard 100 kostet. Warum also wird der Autoverkehr so massiv subventioniert, obwohl wir wissen, dass er klimaschädlich ist und der ÖPNV wird weiterhin links liegen gelassen.

Die Nachfolge

Gestern wurden dann die Pläne zur Nachfolge des 9€-Tickets vorgestellt. Es soll wohl zwischen 49€ und 69€ kosten. Damit ist es für armutsbetroffene Leute schlicht zu teuer und schließt sie wieder vom erschwinglichen Nahverkehr aus. Auch für mich wäre als jemand der aufgrund des Home-Office keinen Arbeitsweg mehr hat sind 49€ zu viel für etwas, das ich vielleicht gar nicht nutze.

Heute wurde zudem bekannt, dass es die zuständigen Ministerien nicht besonders eilig haben, einen Nachfolger für das 9€-Ticket anzubieten, man spricht von einem Zeitrahmen im Frühjahr bis Sommer 2023. Und die Landesregierungen von Bayern und Niedersachsen haben auch schon verlauten lassen, dass sie sich nicht an der Finanzierung beteiligen wollten.

Fazit

Wir hatten für 3 Monate die Möglichkeit, uns wie die Gesellschaft in „Star Trek“ zu fühlen, wo Profitstreben nicht mehr das Maß aller Dinge ist, sondern man das tut, was sinnvoll ist und die Gesellschaft weiter bringt. Nach diesem Ausflug in eine mögliche Zukunft hat uns allerdings der Kapitalismus mit seinem Profitdenken wieder im Würgegriff, gepaart mit idiotischer Kleinstaaterei und der politischen Unfähigkeit, langfristige Probleme wie den Klimawandel durch geeignete Maßnahmen zu bekämpfen. Nein, Wir sind wieder im politischen Kindergarten, wo jeder seine Klientelpolitik betreibt und man lieber den Karren mit Vollgas an die Wand fahren lässt, als seine eigene Ideologie zu überdenken.

Es hätte sein können, aber offensichtlich sind wir als Gesellschaft noch nicht reif für eine Zukunft in der wir andere, bessere Prioritäten als jetzt haben können. Tja…

Ein Gedanke zu „Ein Hauch von Zukunft

  1. Pingback: Anderswo – Die gnädige Frau wundert sich

Kommentare sind geschlossen.