Elektrische Butterberge

Die Tagesschau hat einen Artikel über einen „Rekord an nicht eingespeistem Strom„. Und dass der Verbraucher nun 807 Millionen Euro Entschädigung an die Energieversorger zahlt. Der Ingenieur und Physiker in mir möchte angesichts dieser Meldung nur noch schreien, aber nicht nur wegen der wissenschaftlichen Ungenauigkeit.

Die wissenschaftliche Seite

Strom ist keine Handelsware im üblichen Sinne, denn im allgemeinen können wir den Strom den wir in Kraftwerken produzieren nicht mal eben „auf Halde“ legen und ihn bei Bedarf abholen, sondern der Strom wird klassisch in dem Moment produziert in dem er verbraucht wird. Was dann wieder heißt, dass es keinen überschüssigen Strom geben kann, denn wenn kein Verbraucher da ist, der ihn benöigt gibt es auch keinen Stromfluss.

Die Behauptung „wir können Strom nicht einspeisen, weil das Netz das nicht hergibt“ ist also ganz schön vereinfacht. Natürlich ist mir klar, dass es hier um das Problem geht, dass unsere Windparks in Niedersachsen und Schleswig-Holstein noch Kapazitätsreserven haben, die aber nicht an die Verbraucher hier weiter gegeben werden können weil eben das Netz dafür nicht ausgelegt ist. Das heißt aber nicht, dass jetzt hier die Verbraucher im Dunkeln sitzen, sonder sie wurden eben über eine andere (womöglich nicht so klimafreundliche) Energieerzeugung versorgt. Aber es ist Humbug wenn die Politik von „Strom wegwerfen“ spricht. Und die „Entschädigung“ für nicht eingespeisten Strom führten bei mir dazu, dass ich mich arg an den Butterberg der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts erinnere, daher auch der Titel dieses Blogposts.

Damals wurde sozusagen Festpreis für Milchprodukte eingeführt, was dann dazu führte, dass weit mehr produziert wurde als tatsächlich an Bedarf vorhanden war, man also dann im wahrsten Sinne des Wortes einen Butterberg hatte der keine Abnehmer hatte, aber die Einkünfte der Produzenten sicherte.

Die journalistische Seite

Die Intention dieses Tagesschau-Artikels scheint klar zu sein, wir trommeln für einen Ausbau der Stromnetze damit uns diese „Entschädigungszahlungen“ nicht mehr passieren. Ist ja auch gut so, wenn wir dann tatsächlich Strom aus erneuerbaren Energien besser zu den Verbrauchern bringen können.

Trotzdem fehlen mir in diesem Artikel ein paar Einordungen. Da ist erst mal die Rekordsumme von 807 Millionen Euro. Das ist heftig, sozusagen mehr pro Jahr als was ein Minister im Bundesverkehrsministerium im Jahr in den Sand setzen kann. Und natürlich ganz sehr viel mehr als Du oder ich jemals auf dem Konto haben werden, vorausgesetzt wir bekommen die Inflation unter Kontrolle. Und auch die Empörung, dass die Verbraucher das bezahlen scheint gerechtfertigt. Aber mal ehrlich, wenn ich mit verderblichen Waren handle, dann ist klar, dass ich womöglich einiges von dem was ich eingekauft habe nicht vor Ablauf des Verfallsdatums los werde und daher werde ich diese Verluste eben in den Verkaufspreis mit einkalkulieren, oder ich betreibe keine Lagerhaltung mehr und lasse alles „just in time“ liefern, was dann aber suboptimal ist, wenn im Suez-Kanal ein Frachter sich quer stellt oder sich gar Klima-Aktivisten auf die Straße vor meinem Laster kleben.

Andersurm sind die 807 Millionen auf 83 Millionen Einwohner in Deutschland nicht mal 10 Euro pro Kopf und Jahr. Oder bei meinem gegenwärtigen Strom-Abschlag ein Faktor im Bereich um die 2%. Also „Peanuts“ wie ein ehemaliger Chef der Deutschen Bank zu sagen pflegte.

Auch die Zahl von 5800 Gigawattstunden „Strom“ erscheint erst mal recht viel, denn es fehlt die Vergleichsgröße dessen, was Deutschland im Jahr 2021 tatsächlich an Strom ins Netz einspeisen konnte. Zum Glück hat das Statistische Bundesamt die Zahlen. So wurden im Jahr 2021 insgesamt 517,7 Milliarden Kilowattstunden eingespeist. Wenn wir jetzt mal (wissenschaftlich ungenau) den „nicht eingespeisten“ Strom von 5,8 Milliarden Kilowattstunden mit in die Gesamtrechnung einbeziehen, dann heißt das, dass 2021 etwa 1,1 Prozent des erzeugten Stroms nicht eingespeist werden konnten. Also auch wieder „Peanuts“.

Und genau hier hätte ich mir eben gewünscht, dass die für den Otto Normalverbraucher gigantischen Zahlen einfach mal ins passende Verhältnis gerückt werden würden. Denn wenn mir nur die großen Zahlen ohne die Grundlage präsentiert werden fühle ich mich nicht gut informiert.

Ein Gedanke zu „Elektrische Butterberge

  1. Sehr guter Blogbeitrag, der halbe Meldungen der Tagesschau mit Fakten unterfüttert und zeigt, ob es die Meldung an derart prominenter Stelle wert war. Leider ist dies keine Ausnahmeerscheinung in den ÖRR und man fragt sich, ob das Absicht oder nur Unvermögen ist.

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