Politik-Lehrstunde

Sascha Pallenberg hat gestern auf Mastodon das „Inselspiel“ des ZDF geteilt. Es geht darum, dass der Spieler die Fragen eines Chatbots beantwortet um daraus ein politisches System für eine Insel zu gestalten. Wenn ihr das Spiel noch nicht gesehen habt, dann könnt ihr nun eine Pause einlegen und es über diesen Link starten. Im folgenden werde ich es dann kommentieren und auch sich daraus entwickelnde Diskussion beleuchten.

Zunächst mal erinnert mich dieses Spiel an Tanaland, einem Experiment von Dietrich Dörner, der dabei die Geschicke des fiktiven ostafrikanischen Landes Tanaland durch Entwicklungshilfe zu steuern versucht. Erfahren habe ich von diesem Experiment durch das Buch „Wir können auch anders“ von Maja Göpel. Und wie Maja dann auch schreibt, selbst mit den besten Intentionen ist es den Probanden dann gelungen, Tanaland voll gegen die Wand zu fahren, eben weil das System komplex ist und das drehen an einer „Stellschraube“ dafür sorgen kann, dass in anderen Sektoren gravierende Auswirkungen auftreten, oder wie es die Chaostheorie mit dem Schmetterlingseffekt schön beschreibt, „ein Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien kann einen Tornado in Texas auslösen“.

Einmal durchs Spiel

Zurück zum Simulationsspiel. Zu Beginn wird der Spieler aufgefordert seine Ideale anzukreuzen. Hier legt man sozusagen seine Grundwerte fest. Dann wird man gefragt, ob man bekannten Aussagen zustimmt oder nicht. Hier kann man auf einer Skala von 1-6 (1=“stimme nicht zu“ bis 6=“stimme zu“) wählen, ohne aber die Auswahl zu begründen oder zu kommentieren.

Beispiel: „Eine funktionierende Gemeinschaft sollte möglichst konfliktfrei sein.“ Hört sich doch in erster Näherung recht gut an. Ich habe trotzdem mit „stimme nicht zu“ gestimmt, denn meine Lebenserfahrung zeigt, dass Veränderungen und Fortschritt eigentlich nur durch Konflikte entstehen. Wenn alles „Friede, Freude, Eierkuchen“ ist, dann stagniert die Gesellschaft.

Oder „Manchmal ist das Wohl der Gemeinschaft wichtiger als das Wohl Einzelner…“ hier wird doch gleich der Trekkie in einem getriggert, Start Trek II „Der Zorn des Khan“ wo Spock sich opfert um das Schiff zu retten und dann die epische Szene wo er mit Kirk diskutiert, dass das Wohl der Gemeinschaft wichtiger wäre als das Wohl eines Einzelnen. Aber in diesem Kontext müssen wir auch Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz von 2006 betrachten, in dem das höchste deutsche Gericht klar gestellt hat, dass wenn wir ein entführtes Flugzeug abschießen würden um potentielle Opfer eines Terrorangriffs zu retten wir die unschuldigen Passagiere dieses Fliegers als bloße Objekte behandeln würden, ihnen werde dadurch der Wert abgesprochen, der dem Menschen um seiner selbst willen zukommt.

Nach dieser Fragerunde kommt dann die erste Überraschung der Chatbot wartet mit ein paar Vorschlägen für die Freiheiten der Inselbewohner auf, die man einfach ungesehen „abnicken“ kann, oder eben die Auswahl anpassen kann. Hier flüstert mir mein Gehirn sofort die Lehren aus dem 2007 erschienenen Buch „Die Schock-Strategie“ von Naomi Klein ein. Oder wie David Rasche als Inspektor Sledge Hammer zu sagen pflegte: „Vertrauen Sie mir – ich weiß was ich tue!“. Das perfide an dieser Auswahl ist nun, dass die erste Liste durchaus zustimmungsfähig aussieht, man aber eben Punkte wie „Ich erlaube Demonstrationen, wenn sie vorher angemeldet werden“ nicht hinterfragen kann, also was wäre z.B. mit nicht angemeldeten Spontan-Demonstrationen?

Nach jeder dieser Entscheidungen kann man auch eine Meinung einholen, die dann ein wenig kommentiert was man da ausgewählt hat.

Als nächstes wird das politische System der Insel geformt. Da sind dann auch sehr fragwürdige Klauslen wie „Das Inseloberhaupt wird von den Bewohner:innen gewählt. Das bisherige Inseloberhaupt sucht die Kandidat:innen aus“ drin, die eher an Feudalismus erinnern. Oder die Option „Oberhaupt auf Lebenszeit“, was ja auch nicht gerade eine schöne Vorstellung wäre.

Der nächste Optionsblock geht um das Justizsystem der Insel. Hier gleich am Anfang die Stolperfalle: „Alle haben das Recht, vor Gericht ihre Unschuld zu beweisen“. Das hört sich relativ unschuldig an, doch wir sollten uns erinnern, dass einer der fundamentalen Eckpfeiler unseres Rechtssystems die Unschuldsvermutung ist, d.h. der Ankläger muss die Vorwürfe beweisen können, nicht der Angeklagte seine Unschuld.

Im nächsten Block wird die Exekutive defniert, also Strafverfolgung un die Befugnisse der Polizei. Hier sind die Voreinstellungen aus meiner Sicht sehr „rechtsextrem“ und keineswegs für eine freiheitliche Gesellschaft förderlich.

Weiter geht es mit der Ressourcenverteilung, hier fiel mir vor allem der Punkt „Es braucht immer Leute, die die unangenehmen Arbeiten machen – wir bestimmen gemeinsam, wer das machen muss“ auf und die Erkenntnis, dass „unangenehme Arbeit“ durchaus indivudell unterschiedlich definiert ist. Für mich mag fällt z.B. meine Steuererklärung unter die Rubrik „unangehneme Arbeit“, aber mein Steuerberater hat das sogar zu seinem Beruf gemacht.

Dann geht es um „Besuch von außen“, auch hier geht es gleich mit steilen rechtsradikalen Sprüchen wie „Wir können nicht alle Besucher:innen durchfüttern“ (ok, echte Rechtsradikale würden jetzt nicht gendern) los und auch die anderen Thesen strotzen eigentlich vor Xenophobie. Money Quote der von der KI eingeholten Meinung: „Wir sind alle ganz schön misstrauisch – ich frage mich, ob sich Gäste hier wohlfühlen. Oder die Bewohner:innen…“

Auswertung

Am Ende kam bei meinem Durchlauf „Repräsentative Demokratie“ heraus, also das aktuelle politische System in Deutschland. Erschreckend ist hingegen die Statistik, was bei anderen Spielern so rauskommt.

Statisitik

Nur knapp über 10% hatten am Ende eine repräsentative Demokratie. Autokratie, autoritäre Demokratie machen den größten Anteil vom Kuchen aus. Und wer blind den Vorschlägen der KI (oder eben der Partei im realen Leben) vertraut landet am Ende in einer Diktatur, die mit knapp 8% nicht all zu weit vor unserer repräsentativen Demokratie weg ist.

Diskussion

Carsten bemerkt zum Thema „Unschuldsvermutung“: „Da bin ich auch drauf hereingefallen und habe es erst zu spät gemerkt.„, was uns deutlich daran erinnern sollte, dass wir scheinbar einfache Aussagen nicht einfach negieren können und am Ende kommt das gleiche dabei raus. Auch Pixelcode hat hier noch einen interessanten Punkt: „Herrje, das als Nein anzukreuzen, hatte ich so interpretiert, dass vor Gericht nur Zeugen und Beweise verwendet würden, aber der Angeklagte kein Recht auf Verteidigung hätte. Gewissermaßen bin ich mit meinem Ja also darauf hereingefallen!

Mats merkte an: „Mir gefallen die Antworten nicht. Es müsste mehr Antwortmöglichkeiten geben und nicht nur ja oder nein.“ Hier fällt mir spontan das von Barry Schwartz 2004 veröffentlichte Buch „The Paradox of Choice – Why More Is Less“ ein und natürlich auch sein großartiger TED-Talk dazu. Als Lehre aus diesem Einwurf kann ich jetzt eigentlich nur ziehen, dass Einfluss auf die Politik zu nehmen hier auch mehr sein müsste als im Abstand von ein paar Jahren ein paar Felder auf einem Wahlzettel anzukreuzen. Ja, mehr Optionen würde eben vom Bürger Engagement erfordern, also z.B. Mitarbeit in einer politischen Partei, Kontakt zu Politikern usw.

Pauline merkt am Ende an: „Dieses Inselexperiment ist ein manipulatives Spiel ohne Aussagekraft durch diese beschränkten Antwortmöglichkeiten.“ Willkommen in der Realität Pauline, vielleicht sollten wir aus diesem Experiment lernen, dass unser System viel mehr Mitarbeit braucht statt sich nur über „die da oben“ zu ärgern und am Ende dann doch wieder sein Kreuz bei der Partei die man immer schon gewählt hat zu machen, weil man ja eh nur die Wahl zwischen Pest und Cholera habe.

Ich würde jedenfalls das Fazit daraus ziehen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk hier seinem Bildungsauftrag durchaus gut nachgekommen ist.