Keine Angst, ich wandle jetzt nicht auf den Spuren von Leo Tolstoi, aber heute morgen habe ich im Sozialen Netzwerk den folgenden Text gesehen, der mich dann gedanklich beschäftigt hat.
Wir machen ein Gedankenexperiment:
Ihr seid 35 Jahre alt und lebt in der Ukraine. Der Einmusterungsbrief kommt. Geht ihr mit Freude an die Front um euer Heimatland zu verteidigen?Ihr seid Eltern, euer Sohn ist 27. Der Einberufungsbefehl kommt, sendet ihr eueren Sohn mit Stolz und Freude an die Front?
Darüber reden wir. Es ist grauenhaft. Natürlich darf man eine pazifistische Haltung haben und ein Problem mit Aufrüstung und Krieg.
Und nachdem ich meine Gedanken sortiert hatte war klar, dass das nicht in eine Kurznachricht passt. Also hier mal in epischer Breite was mir dazu einfällt.
Trigger Einberufung
Beim Lesen der Zeilen musste ich sofort an meinen Vater (geboren in 1914) denken. Er war damit 25 Jahre alt als der zweite Weltkrieg anfing und als kriegsdienstverwendungsfähig eingestuft kämpfte er dann in Stalingrad 1942. Was er da erlebt hat hat ihn massiv traumatieirt, abgesehen davon dass er ein Auge verloren hatte. Und auch wenn er nie viel von seinen Kriegserlebnissen erzählkt hat denke ich doch, dass er keinesfalls freudestrahlend in den Krieg zog.
Stell Dir vor es ist Krieg und keiner geht hin
Das war der Slogan der Friedensbewegung in meiner Jugenzeit und ich kann mich an die häufigten Gespräche mit meiner Mutter erinnern, die sehr detailliert beschreiben konnte wie sie den Kreig erlebt hat. Im Keller des Hauses sitzend, während die Bomben auf die Stadt fallen und ständig hoffend, dass es das eigene Haus nicht treffen wird. Die Entbehrungen während dieser Zeit. Und oft genug habe ich in meiner damaligen Naivität gefragt, warum denn die Leute beim Krieg mitmachen. Als Antwort kam dann immer, wer nicht in den Krieg ziehen wollte wurde eben standrechtlich erschossen, wenn man in den Krieg zog hatte man immerhin eine Chance ihn zu überleben.
Wer verursacht Kriege?
Es kann der Frömmste nicht in Frieden bleiben,
Wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt.
~ Friedrich Schiller
Kriege brechen aus, weil ein Aggressor sich nicht an die international verbindlichen Regeln zum friedlichen Zusammenleben auf diesem Planeten hält. Aktuell heißt der Agressor Vladimir Putin mit seinem Angriff auf die Ukraine und all den anderen Machtergreifungsaktionen in den frühren Staaten der UdSSR. Georgien, Belarus, whatever. Aber wenn wir mit dem Finger auf Russland zeigen sollten wir nicht die andere Seite des Atlantiks vergessen, all die diversen Lügen über Babies die aus Brutkästen geholt werden bis hin zu den „Weapons of mass destruction“ die Saddam angeblich hatte. Keine Lüge war zu blöd um sie nicht als Ausgangspunkt für einen bewaffneten Konflikt zu benutzen.
Und es sind die Machthaber, die den Krieg vom Zaun brechen, ausfechten dürfen ihn dann die Soldaten. Sie sind per Definition die „Kombattanten“ wobei es auch bei den super-präzisen Marschflugkörpern immer wieder dazu kommt, dass statt militärischer Ziele eben mal ein ziviles Ziel „aus Versehen“ getroffen wurde.
Soldaten sind Mörder?
Während Kurt Tucholsky „Soldaten sind Mörder“ noch ohne Fragezeichen geschrieben hätte bin ich schon am Grübeln, ob ich Tucholsky hier uneingeschränkt zustimmen kann.
In einem ersten Impuls dachte ich mir, Krieg ist der Zustand in dem junge Leute die sich in Friedenzeiten abends in der Kneipe zu einem Bier getroffen hätten und gemeinsam gelacht hätten plötzlich aufeinander schießen, weil eben ein Machthaber die anderen zum Feind erklärt hat. Und diverse Lügen über die Bösartigkeit des Feindes helfen natürlich bei der „Motivation“ gegen diesen Feind zu kämpfen.
Auf der anderen Seite kann man natürlich nicht schönreden, dass im Krieg Menschen sterben weil sie als Gegner entmenschlicht werden und als legitimes Ziel für Waffen gelten. Und wahrscheinlich hätten diese Menschen auch einen anderen Plan für ihr Leben gehabt als irgendwo von einer Kugel getroffen oder von Sprengstoff zerfetzt zu werden.
Aber dann fiel mir auch noch ein, dass es ja durchaus Leute gibt, die den Krieg als „Business“ betreiben, denken wir nur mal an die diversen Söldner die in einem Krieg mitmischen und deren Motivation wohl nicht in heheren Zielen wie das Verteidigen der Demokratie bestehet, sondern es geht schlicht ums Geld. Für diese Leute würde ich durchaus Tucholsky recht geben.
Brauchen wir ein Militär?
Hier muss ich vielleicht mal etwas ausholen. Als Schüler habe ich mich durchaus für eine Karriere bei der Bundeswehr interessiert und wurde sogar zu einem Truppenbesuch nach Kiel eingeladen. Da durften wir dann auf einem Minensuchboot raus auf die Ostsee, es war sehr beeindruckend, eine schöne PR-Show eben. Dann kam allerdings mein Studium dazwischen und am 1. September 1983 der Abschuss des koreanischen Jumbo-Jets über Sachalin durch einen russischen Abfangjäger. Der kalte Krieg wurde damals langsam warm.
Nach dem Studium habe ich dann den Wehrdienst verweigert, denn mittlerweile hatte ich auch ein paar Vorstellungen was ich aus meinem Leben machen will und auf Kommando auf andere Leute schißen gehört definitiv nicht dazu. Nicht, dass ich Angst vor Waffen per se hätte, als Sportschütze nutze ich die Dinger jede Woche, aber ich weiß eben, welche fatale Wirkung sie anrichten können und bin daher eher gewillt, Konflikte ohne Waffen zu lösen.
Auf der anderen Seite zeigt aber die aktuelle Lage in der Welt, dass es zu viele Diktatoren gibt die sich gerne ein Nachbarland zum Fühstück einverleiben würden. Putin hatte, als er am 24.02.2022 die Ukraine überfiel wahrscheinlich auch ein „Blitzkrieg“-Szenario geplant, dass die Ukraine sich massiv wehrt war so wohl nicht geplant.
In der aktuellen Situation würde ich daher durchaus sagen, dass wir leider wieder mehr Geld in die sogenannte Verteidigungsbereitschaft stecken müssen, um einen potentiellen Agressor abzuschrecken.
Auf der anderen Seite kann ich mich noch an den Zerfall der damaligen Sowjetunion erinnern. Mit ein Grund war wohl, dass dieses ständige Wettrüsten schlicht zu teuer war und man damals dann einfach aus dem Spiel aussteigen wollte, denn wenn ich sowieso schon mehrfach den Planeten in Schutt und Asche legen könnte, dann besteht eigentlich keine Notwendigkeit mehr darin, immer mehr Waffen anzusammeln.
Asymmetrie des Krieges
Die Kriegführung hat sich in den letzten Jahren auch massive verändert. Während im zweiten Weltkrieg noch auf dem Schlachtfeld gekämpft wurde und jeder Teilnehmer das Risko hatte, es nicht zu überleben sind wir nun in einer sehr assymetrischen Situaton was die konventionelle Kriegsführung angeht.
Das Zerstörungswerk übernehmen dabei Drohnen die ferngesteuert sind und bei denen der Drohnenpilot eher keiner physischen Gefahr ausgesetzt ist. Man denke nur an die diversen gezielten Tötungen von Terroristen im Krieg gegen den Terror. Dabei kamen teure High-Tech-Drohnen zum Einsatz um irgendwelche feinlichen Bösewichter ohne rechtsstaatlichen Prozess ins Jenseits zu schicken und wenn es dabei zu Kollateralschäden bei Zivilisten kam wurden diese einfach als Terrorunterstützer geframed, und schon war alles wieder gut.
Im Ukrainekrieg sehen wir dann ein anderes Extrem der Assymmetrie. Billige „Spielzeugdrohnen“ mit ein wenig Sprengstoff bepackt sind durchaus in der Lage einen russischen Panzer zu zerstören, obwohl dessen Kosten wahrscheinlich um etliche Zehnerpotenzen höer waren als die der Drohne die ihm den Garaus gemacht hat. Sozusagen eine moderne Version von David gegen Goliath.
Am Ende geht es um Werte
Die Shit-Show die am Freitag im Weißen Haus in Washington passiert ist zeigt eindringlich, dass die USA kein Verbündeter mehr sind in der Verteidigung unserer sogenannten westlichen Werte. Mittlerweile habe ich sogar schon Meldungen gelessen, dass Elon Musk den Austritt der USA aus NATO und UN befürworten würde.
Wir haben also die Situation, dass nicht nur auf der russischen Seite ein Akteur sich nicht an die von der Völkergemeinschaft festgelegten Regeln hält, sondern auf der anderen Seite der bisherige Verbündete ebenfalls auf Recht und Gesetz scheißt und nur noch auf sienen eigenen Vorteil bedacht ist. Es wäre die dringendste Aufgabe diese Regelverstöße mit heftigsten Sanktionen zu ahnden, aber wie Bertold Brecht ja schon so treffend formulierte, zuerst kommt das Fressen, dann die Moral.
Ich glaube daher, dass es für jeden hier momentan darum geht, sein eigenes Wertegerüst zu definieren und rote Linien zu ziehen die nicht überschritten werden dürfen. Das gilt sowohl für mich als Individuum als auch für Europa, das der aktuellen Bedrohungslage nur gemeinsam begegnen kann, wenn wir uns hier wieder in Kleinstaaterei verlieren, dann ist es vorbei. Trotzdem kann ich auch als Otto Normalo mein Verhalten an die neue Situation anpassen und versuchen so weit als möglich auf den Konsum von Dingen zu verzichen die einem durchgeknallten Regime Einnahmen bescheren.
Ich hoffe, dass alle solche Otto Normalos sind, mit diesem Wertesystem.