Du sollst keine Geheimnisse mehr haben

Heute möchte die Bundesregierung ihre Haltung zur sogenannten Chatkontrolle1 entscheiden und in den letzten Tagen gab es unzählige Aktionen um die Parlamentarier davon abzubringen ihre Zustimmung für die Errichtung eines Orwellschen Überachtungsstaates zu geben. Hier ein paar meiner Gedanken zu dem Thema.

Worum geht es?

Die Chatkontrolle sieht vor, dass Behörden Zugriff auf alle unsere Chat-Nachrichten haben. Die meisten Messenger die wir nutzen arbeiten mittlerweile aber mit Ende-zu-Ende-Verschlüsselung und beispielsweise Signal hat obwohl die Nachrichten über ihre Server gehen keinerlei Möglichkeit, diese zu entschlüsseln und den Behörden zur Verfügung zu stellen.

Daher möchte man nun eine Kontroll-Software einrichten, die VOR dem Verschlüsselungsprozess die Nachricht abgreift und an die Kontroll-Instanz schickt. Vergleichbar mit dem Schreiben eines Briefes, dessen Transportweg mit Umschlag und Siegel vor „Mitlesen“ geschützt ist, aber hier guckt Dir quasi eine Überwachungskamera beim Schreiben des Briefs zu. Privatsphäre und das durch Artikel 10 GG2 geschützte Fernmeldegeheimnis werden so ausgehebelt.

Problem 1: Backdoors können alle nutzen

Das erste große Problem ist, dass die Überwachungsinstanz hier eine Backdoor implementiert, welche Tastatureingaben vor der Verschlüsselung abfängt. Und es ist absolut hirnrissig zu glauben, dass diese nur für „die Guten“ (oder diejenigen die sich für gut halten) funktioniert. Eine einmal installierte Hintertür kann von JEDEM Angreifer benutzt werden, also auch der böse Hacker der Deine Kontozugangsdaten ausspähen will.

Problem 2: Messenger werden illegal

Meredith Whittaker, die Chefin des Messenger-Dienstes Signal hat schon angekündigt3, dass Signal sich aus Europa zurückziehen will sollte die Chatkontrolle kommen. Damit würde ein von mir häufig genutzter Messenger-Dienst quasi von der EU zerstört werden, was der Idee von freien Märkten komplett widerspricht.

Problem 3: Wer kontrolliert uns dann?

Momentan verschicken allein die Deutschen Nutzer von Messenger-Diensten zusammen 2,8 Milliarden Chatnachrichten am Tag4. Wer bitteschön soll diese Flut an Nachrichten denn kontrollieren? Das kann faktisch kein Mensch mehr machen, also brauchen wir eine automatisierte Kontrolle um „verdächtige Nachrichten“ zu erkennen. Und da wir ja gerade den KI-Hype erleben wird mit Sicherheit eine KI da drauf angesetzt, was kann schon schief gehen..? Selbst wenn wir nur einen einfachen Bayes-Filter mit hoher Treffergenauigkeit nutzen würden, die Menge der „false positives“, also harmloser Nachrichten die fälschlicherweise als „böse“ ausgefiltert werden wird das ganze System ad absurdum führen. Christian Reinboth hat das bereits 2017 mal beleuchtet5 und kommt zu folgendem Schluss:

„Die Moral der Geschichte besteht natürlich darin, dass man sich – ganz besonders als politischer Entscheidungsträger – keinesfalls von der 99,5%igen Trefferquote blenden lassen darf, sondern sich vielmehr bewusst machen sollte, dass es bei jeder Form anlassloser Massenüberwachung allein aufgrund des extremen Missverhältnisses zwischen gesetzestreuen Bürgern und Straftätern unausweichlich ist, dass viele, viele Unbescholtene ins Visier von Behörden geraten. Selbst dann, wenn das System nahezu fehlerfrei (99,5%!) funktioniert.“

Problem 4: Zerstörung der Demokratie

Wir leben ein einer Zeit, in der Recht und Ordnung zunehmend attackiert werden und die Partei welche den parlamentarischen Arm des Rechtsextremismus verkörpert hat bei Umfragen mittlerweile bundesweit mehr als 25%, in manchen Bundesländern sogar die Mehrheit vor allen anderen Parteien. Es ist als nicht auszuschließen, das diese Partei mit deren Verbot die aktuelle Bundesregierung schon viel zu lange zögert irgendwann doch an die Macht kommt. Und mit der Chat-Kontrolle geben wir einer solchen autoritären Regierung dann ein Überwachungsinstrument in die Hand, wie es schlimmer kaum sein kann. Ein Blick über den großen Teich sollte eigentlich ausreichen um zu erkennen, was passiert wenn Faschisten an die Macht kommen, denn was gerade in den USA passiert ist leider nur noch mit dem Begriff Faschismus zu beschreiben. Und Faschisten werden auch keine Rücksicht auf „false positives“ nehmen (siehe Problem 3), wer hier unschuldig ins Visier der Faschisten gerät hat eben „Pech gehabt“.

An dieser Stelle möche ich gerne auf die aktuelle Folge des Wochendämmerung-Podcasts verweisen in der Gerald Knaus über die Bedrohung der Demokratie und damit auch des friedlichen Zusammenlebens in Europa spricht. 6

Fazit

Für mich bedeuten die oben aufgeführten Punkte ein eindeutiges Nein zum Thema Chatkontrolle. Das Problem ist allerdings, dass unsere aktuelle Regierung das möglicherweise anders sieht, besonders wenn wir uns erinnern, dass unser amtierender Bundesinnenminister ja gerne Gesetze so auslegt wie sie ihm in den Kram passen und der auch schon mal Gerichtsurteile ignoriert.

Zudem ist in altbekannter Manier das Thema Chatkontrolle wieder als „Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt“ angepriesen, obwohl die aktuelle Politik sehr deutlich macht, dass ihnen Kinder und Jugendliche komplett egal sind. Weder werden Missbrauchsdarstellungen zeitnah aus dem Netz entfernt, noch ist man gewillt etwas gegen Kinderarmut oder die Bildungsmisere zu tun, das Thema Kinderschutz ist faktisch ein komplette Nebelkerze welche Gegner der Massenüberwachung als potentielle Kinderschänder diffamieren soll.

Abschließend kann ich nur sagen, dass ich lieber in einem System lebe, in dem ein paar Straftäter nicht entdeckt werden als in einem System, in dem jeder Bürger unter Generalverdacht gestellt wird und durch Massenüberwachung jegliche Privatsphäre abgeschafft wird. Denn letzteres ist ein Schritt in Richtung Faschismus.

  1. Die Chatkontrolle gefährdet die Demokratie (netzpolitik.org) ↩︎
  2. Artikel 10 GG ↩︎
  3. Chefin der Signal-App droht mit Rückzug aus Europa (Tagesschau) ↩︎
  4. Deutsche senden 2,8 Milliarden Chat-Nachrichten pro Tag (Handelsblatt) ↩︎
  5. Anlasslose Massenüberwachung und der Satz von Bayes (ScienceBlogs) ↩︎
  6. „Europa als Kontinent der Demokratien“ – Gerald Knaus über das Wunder, das wir aufs Spiel setzen (Wochendämmerung-Podcast) ↩︎

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