Das obere Ende der Skala

Gerade eben habe ich das untere Ende unserer staatlichen Fürsorge betrachtet, also wie Leute am Existenzmininmung genötigt werden unter Androhung von Sanktionen auf ihre in Artikel 1 GG verbriefte Menschenwürde zu verzichten. Jetzt will ich mich mal dem oberen Ende der staatlichen Fürsorge zuwenden. Schließlich gibt es durchaus Notlagen in denen der Staat ohne langes Zögern auch mal mit 12-stelligen Eurobeträgen hilft.

Erinnern wir uns mal ein wenig. Vor etwas mehr als einem Jahr erbebte die Finanzwirtschaft unter dem Zusammenbruch von Lehman Brothers und jährt sich der Tag, an dem die Hypo Real Estate Bank plötzlich und überraschend bemerkte, dass sie sich in einer existenzbedrohenden Schieflage befindet. Übrigens ganz zufällig genau einen Tag nachdem die 5-jährige Haftungsfrist der Mutter HypoVereinsbank auslief.

Damals wurde dann sehr schnell ein Sonderfond Finanzmarktstabilisierung (SoFFin) beschlossen und mit 480.000.000.000 Euro ausgestattet. Man erzählte uns Bürgern, dass wenn die HRE zusammenbricht auch Pensionskassen, Sozialversicherungen und Kirchenkassen massiv darunter leiden würden. Also wurde Geld in die HRE gepumpt, anfänglich „nur“ mal 30 Milliarden die sich mittlerweile auf 102 Milliarden aufsummiert haben. Ein Ende des Zahlens ist auch nach der „Verstaatlichung“ der bankrotten Bank nicht in Sicht, es werden wohl weitere zweistellige Milliardenbeträge notwendig werden um den Absturz aufzuhalten.

Doch wer wurde tatsächlich gerettet? Es war natürlich nicht der Hartz-IV-Empfänger am anderen Ende der Skala, ganz im Gegenteil, dank der Finanzkrise haben wir heute viel mehr Anwärter auf Hartz IV als vor der Finanzkrise. Der Tagesspiegel hat sich zu dieser Frage Gedanken gemacht und einen sehr lesenswerten Artikel „Die Geretteten“ veröffentlicht. Dort heißt es dann:

Doch anstatt den Beweis für ihre Behauptungen zu führen, erklärten sie die Daten über die Begünstigten der Bankenrettung zum Staatsgeheimnis. Es gehe um „Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, deren Bekanntwerden den Unternehmen Schaden zufügen könnte und für die eine gesetzlich verankerte Verschwiegenheitspflicht gilt“, erklärt ein Sprecher des Finanzministeriums zur Begründung. Tatsächlich liegt der Schaden jedoch vor allem beim Steuerzahler. Und die Beweispflicht der Regierung gegenüber dem Bürger sollte für eine Ausnahmeregelung ausreichen.

Letztlich sind wir als Steuerzahler als nun Kreditgeber von Geldempfängern deren Identität man vor uns mit fadenscheinigen Begründungen verheimlichen will. Die Schulden in die der Staat sich zwecks Bankenrettung gestürzt hat werden von uns und den nachfolgenden Generationen zu tilgen sein, sofern eine Tilgung überhaupt noch möglich ist. Albrecht Müller von den NachDenkSeiten hat diesen Tagesspiegel-Artikel heute ebenfalls aufgearbeitet und schreibt:

Gerettet wurden die unbesicherten Geldmarktaufnahmen und Darlehen (mit kurzer Laufzeit von unter einem Jahr) von ausländischen Banken im Wert von 23,3 Milliarden und sonstigen ausländischen Institutionen im Wert von 15,3 Milliarden. Gerettet worden sind die Forderungen der Deutschen Bank, der HypoVereinsbank, der Bayerischen Landesbank, von AXA, Debeka usw. – Einige von diesen zahlen schon wieder Dividenden und Boni. Wir als Steuerzahler sind von Angela Merkel und Peer Steinbrück zu den Finanzierern dieser Profiteure gemacht worden, und wir werden als Bürgerinnen und Bürger dafür bluten müssen, indem die notwendigen öffentlichen Leistungen für Sicherheit, für Schulen, für Soziales, für Jugendarbeit und so weiter heruntergefahren werden. Das nennt man dann Einschnitte.

Ja, dass wir nach der Wahl mit „Einschnitten“ zu rechnen haben wurde uns ja unlängst erst von Karl-Theodor zu Guttenberg und Peer Steinbrück im Duett verkündet. Auf der anderen Seite prescht die CSU ja momentan sogar vor und verspricht Steuersenkungen die angesichts der Schuldenlage des Bundes und dem Einbrechen von Steuereinnahmen aufgrund steigender Arbeitslosigkeit sowieso illusorisch weil nicht zu finanzieren sind.

Zum Abschluß möchte ich hier noch die Schlußbemerkung von Albrecht Müller zitieren:

In der SZ wurde geschwärmt: „Wie Steinbrück und Merkel die größte Finanzkrise der letzten Jahrzehnte ausgeschaukelt haben, ist bemerkenswert“.

Nichts ist bemerkenswert. Wir werden für das „Ausschaukeln“ mit Einschnitten und neuen Belastungen zahlen müssen. Da ist nicht die Krise „ausgeschaukelt“ worden, sondern wir sind verschaukelt worden – zu Gunsten der internationalen Finanzwelt.

Also am Sonntag bitte überlegen, ob Ihr Euch weiter verschaukeln lassen wollt oder ob Ihr dieser Regierung nicht lieber eine schallende Ohrfeige für ihre Inkompetenz verpassen wollt. Wäre Deutschland eine AG, dann müsste ja schon längst ein Staatsanwalt wegen Untreue gegen den Finanzvorstand (Steinbrück) und andere führende Manager ermittlen.

Das untere Ende der Skala

Auf Telepolis läuft gerade ein mehrteiliger Artikel zum Thema „Sanktionen gegen Hartz-IV Empfänger“. Das ganz ist als Interview von Claudia Dasekin und Soveig Koitz aufgezogen, den Autoren einer über 100-seitigen Broschüre (PDF), die sich mit den gegen Hartz-IV-Empfänger ausgesprochenen Sanktionen befasst. Der erste Teil „Aushungern und Fordern“ beschreibt unter anderem, dass ein Großteil der Sanktionen widerrechtlich ist. Dazu passt auch der am 5. August hier verlinkte Artikel auf Kinder-Alarm zum Thema „Sanktionen„, eben das die Agenturen wohl eine Mindest-Abschußquote nachweisen müssen.

Die PDF-Broschüre liest sich zum Teil wie eine Horrorgeschichte, aber das Erschreckendste daran ist wohl, dass die dort geschilderten Fälle eben nicht aus dem Reich der Phantasie stammen sondern Menschen in diesem Land so angetan wurden. Ein bemerkenswertes Zitat von Jean-Jaques Rousseau (1712-1778) lautet:

Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, daß er tun kan, was er will, sondern daß er nicht tun muß, was er nicht will.

Rousseau ist 231 Jahre tot, dieses Freiheitsprinzip hat es aber trotzdem vor 60 Jahren in unser Grundgesetz geschafft. Artikel 12 Abs.2 lautet:

(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.

Jetzt kann man natürlich trefflich darüber philosophieren, ob der Zwang an sinnlosen Beschäftigungsmaßnahmen oder der Druck sich sittenwidrigen Arbeitsverträgen zu unterwerfen ein Verstoß gegen diesesn Grundgesetzartikel ist oder ob das mittlerweile unter die „allgemeine, für alle gleichen öffentliche Dienstleistungspflicht“ fällt.

Thomas Meyer hat dieses Zwangsarbeit bereits am 26.02.2005 als „Betrachtung aus der Sicht eines Gefangenen“ thematisiert. Wenn man ein wenig im Internet sucht findet man z.B. auch ein PDF-Formular mit Widerspruch gegen die Zwangsarbeit durch die Eingliederungsvereinbarung.

Auch der „Sozialticker“ fragt bereits am 6. Juli 2008 „Hartz IV: Zwangsarbeit wieder salonfähig?“ Letztlich stellt man bei einer solchen Recherche dann fest, dass wir uns zwar hin und wieder um die Entschädigung von Zwangsarbeitern im Dritten Reich kümmern, aber gleichzeitig hier und jetzt eine ähnliche Situation für die Leute die unter Hartz-IV fallen tolerieren. Natürlich werden jetzt wieder andere sagen, dass der Zwangsarbeiter der Nazi-Zeit Angst um sein Leben haben musste während hier ja (offiziell) keiner verhungert. Aber wenn man die Broschüre liest und dann feststellt, dass Leute die sich dank der Sanktionen z.B. kein Insulin für ihre Diabetes leisten konnten und damit tatsächlich subjektiv Todesängste empfunden haben, dann relativiert sich das wieder.

Wobei Emotionen sowieso relativ sind. Meine Tochter kann in Wehklagen ausbrechen wenn sie am Fensterbrett eine tote Fliege findet („heul, das war meine Lieblingsfliege“), andere Leute trauern um Verwandte oder weil sie ihren Job verlieren usw. Es gibt meines Wissens keine Skala in der körperlicher Schmerz oder auch seelischer Schmerz gemessen werden kann. Und es wäre überheblich, die Leidenden nicht verstehen zu wollen.

Wie können wir es uns dann anmaßen, „zumutbare Arbeit“ zu definieren, noch dazu in einer Zeit in der längst klar ist, dass diese „Zumutbarkeit“ eigentlich nur zwei Ziele verfolgt:

  • Viele „Beschäftigungsgesellschaften“ verdienen richtig gut an den an sie vermittelten Hartz-IV-Empfängern
  • Durch die „Zwangsverordnung von zumutbarer Arbeit“ drückt man auch wunderschön das Lohnnivau. Nicht umsonst stellen wir im internationalen Vergleich plötzlich fest, dass in Deutschland die Reallöhne gesunken sind während sie überall anders gestiegen sind.

Das eigentliche Ziel „Wiedereingleiderung in den Arbeitsmarkt“ hat man dabei längst verdrängt, kein Wunder in Zeiten von Stellenabbau und Kurzarbeit existiert faktisch der erwünschte Arbeitsmarkt sowieso nicht mehr.

Ich hoffe sehr, dass sich vor der Wahl noch möglichst viele Leute dieses Interview und das recherchierte Material zu Gemüte führen und sich ernsthaft fragen, ob sie mit ihrer Stimme am Sonntag eine Fortführung dieser menschenverachtenden Politik ermöglichen wollen, oder ob sie diese Zustände ändern wollen.

Links für 2009-09-21

Sorry Freunde, bin gerade „Land unter“ daher nur wieder kurz ein paar Links auf lesenswerte Informationen im Netz:

Links für 2009-09-20

Heute wieder einige Links zu lesenswerten Artikeln im Netz:

  • Pirateninterview in Junge Freiheit“ – Die Piratenpartei geriet in den letzten Wochen heftig in die Kritik, weil sie für die dem rechten Rand zugeordnete Zeitung „Junge Freiheit“ für ein Interview zur Verfügung standen. Fefe hat sich tatsächlich mal die Mühe gemacht, dieses Interview zu lesen und kommt zu folgendem Schluß: „Sind wir jetzt soweit in diesem Lande, dass nicht mehr die Frage zählt, sondern wer sie stellt?“
  • Kirche, Zirkus, Schule, Pispers und mehr“ – Dauerfeuer-Verarsche über eine Schule für Zirkuskinder und über diverse Fragen im Vorfeld der Bundestagswahl.
  • Leistungsträger von Westerwelle enttäuscht“ – Weissgarnix stellt fest dass wer früher aufsteht nicht unbedingt mehr verdient, aber er übersieht dabei vielleicht, dass das Verlassen der Horizontalen im gleichlautenden Gewerbe eher kontraproduktiv ist. Trotzdem extrem lustig, vor allem auch die Kommentare.
  • Die ‚böse‘ Jugend“ – Kinder-Alarm über die von den Politikern dämonisierte Jugend und das was ihr wirklich fehlt. Nämlich Zuwendungen und eine Perspektive.
  • Insider verkaufen Aktien wie verrückt“ – Freeman vom Alles-Schall-und-Rauch-Blog stellt fest, dass momentan jede Menge Aktien von Insidern auf den Markt geworfen werden und folgert, dass der nächste Börsencrash wohl unmittelbar bevorsteht.
  • Kinderfrage: Wann ist endlich Frieden?“ – Radio Utopie zeigt auf, dass Kinder durchaus auch in der Lage sind unsere aktuelle Politik zu hinterfragen. Und nebenbei bemerkt: Heute ist Weltkindertag, aber das ging wohl im Rauschen des Wahlkampfes unter.

Defcon-5 vor der Wahl

Pünktlich 8 Tage vor dem Wahlsonntag stürmt heute eine Nachricht die Charts, äh Newsticker, nämlich dass die bösen Terroristen jetzt Deutschland mit einem Terroranschlag drohen. Daraufhin sind natürlich sofort überall die Sicherheitsmaßnahmen verschärft worden, Deutschland ist sozusagen auf Defcon-5 (Defense Condition 5, wem das nix sagt, der hat den „kalten Kreig“ wahrscheinlich nicht miterlebt).

Ein wenig angefressen bin ich ja schon von den Leuten. Denn obwohl alle Nachrichtenkanäle einstimmig verlauten lassen, dieses Droh-Video wäre ins Internet gestellt worden kann ich es nicht finden. Die Suche bei YouTube zeigt mir nur steinalte Drohvideos die noch dazu in einer dermaßen lausigen Qualität zu sehen sind dass man scih schon fragt, ob die kein Geld für eine vernünftige Videoausrüstung haben.

Was mir diverse Nachrichtenportale zeigen ist ein Terrorist mit Anzug, weißem Hemd und Krawatte, also genau so wie sich der verängstigte Bürger den Terroristen von nebenan vorstellt. Aber da ja die Experten der Sicherheitsbehörden sagen, dass das Video echt ist werde ich heute nacht bestimmt ganz schlecht schlafen, eben wegen der erhöhten Terrorgefahr.

Auf allen Flughäfen und an einigen Bahnhöfen patrouillieren seit heute Bundespolizisten mit schweren Schutzwesten und Maschinenpistolen. „Es geht um die Präsenz, wir wollen den Reisenden Sicherheit geben“, sagte eine Sprecherin des Bundespolizeipräsidiums in Potsdam.

Ja danke auch, wenn ich Polizisten in Schutzwesten und mit Maschinenpistolen patrouillieren sehe, dann ist das ein wirklich beruhigender Anblick. Vor allem für mich der keine Schutzweste und keine Maschinenpistole hat und sich dann fragt wie es um seine Sicherheit bestellt ist, wenn diese Dinger zum Einsatz kommen.

Wobei in diesem Fall die Drohung eigentlich in die Richtung „wenn ihr Merkel wieder wählt, dann kriegt ihr den Terror“ zielt, zumindest wenn man einigen Nachrichtenkanälen glauben will. Jetzt warte ich ja eigentlich nur noch auf den ersten Politiker, der angesichts dieser verschärften Bedorhungslage wieder den Einsatz der Bundeswehr im Inneren fordert. Da könnte man ja dann die Jungs nehmen, die gerade in Afghanistan den robusten Stabilisierungseinsatz machen, die sind dann wieder in der Heimat und haben auch schon Erfahrungen mit dem Gegner…

Ja, ich weiß, das war alles sehr polemisch, aber heute kann ich einfach nicht widerstehen.

[Update:] Fefe war erfolgreicher mit der Video-Suche. Hier ist es.

Die Angst vor der Gewalt

Vor knapp einer Woche wurde in Augsburg ein 17-jähriger Mann von zwei anderen überfallen und am Theodor Heuss Platz vor einen einfahrenden Bus gestoßen. Der Bus erfasste das Opfer mit dem Hinterrad und verletzte den jungen Mann schwer. Mittlerweile sind zwei Tatverdächtige ermittelt.

Nicht viel später gab es dann den Mord an der S-Bahn-Station Solln der bundesweit wohl für Schlagzeilen sorgt. Die Medien ereifern sich und die Volksseele scheint zu kochen was man unschwer feststellen kann wenn man in Foren und Newsgroups schaut.

Manche fordern nun ungeniert die Bewaffnung der Bevölkerung um sich vor solchen Attacken wirksam schützen zu können und andere schlagen gar eine bewaffnete Bürgerwehr vor. Und es sind möglicherweise die gleichen Leute, die vor einem halben Jahr kurz nach dem Amoklauf von Winnenden gefragt haben, warum denn Leute eine Waffe zuhause haben müssen.

Aber wie die Ereignisse heute in Ansbach zeigen braucht man für einen Amoklauf auch gar keine Schusswaffen, da reicht eine Axt, ein paar Messer und einige „Mollies“.Angesichts solcher Vorfälle fragt man sich natürlich, ob die Gewaltverbrechen in Deutschland zunehmen und wie man sich schützen kann.

Da zufällig auch gerade Wahlkampf ist (was bin ich froh, wenn die Bundestagswahl rum ist) ergießt sich die Politik natürlich auch in Vorschlägen, wie wir Deutschland wieder sicherer machen können.

Einer dieser Vorschläge ist, das Jugendstrafrecht zu verschärfen. Am besten mit Maximalstrafen bis 25 Jahren, wobei aber jedem klar sein sollte, dass eine Verschärfung des Strafrechtes keinerlei abschreckende Wirkung hat und man so eher ein inflationäres Ansteigen bei der Anzahl der Strafgefangen bewirkt.

Die andere im Beißreflex geäußerte Forderung besteht darin, noch mehr Überwachungskameras zu installieren. Eine Überwachungskamera hätte den Mord von Solln aber wohl auch nicht verhindert, und die Täter konnten auch ohne Kamera gefasst werden. Aber vielleicht sollte man froh um Überwachungskameras sein, vielleicht sitzt am anderen Ende noch ein Mensch und sieht zufällig die Tat live und kann einen Notruf absetzen, denn wie man heute lesen kann war die Notrufsäule in Solln seit 5 Jahren außer Betrieb. Das ist genau eines meiner regelmäßigen Alptraumszenarios, ich muss einen Notruf absetzen und die Infrastruktur die ich nutzen will funktioniert nicht.

Da stellt sich mir die Frage, ob die Staatsanwaltschaft, die ja überzeugt ist gegen niemanden in Solln wegen unterlassener Hilfeleistung ermittlen zu müssen sich wenigstens an §145 StGB erinnert der da lautet:

(2) Wer absichtlich oder wissentlich

1. die zur Verhütung von Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr dienenden Warn- oder Verbotszeichen beseitigt, unkenntlich macht oder in ihrem Sinn entstellt oder

2. die zur Verhütung von Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr dienenden Schutzvorrichtungen oder die zur Hilfeleistung bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr bestimmten Rettungsgeräte oder anderen Sachen beseitigt, verändert oder unbrauchbar macht,

wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in § 303 oder § 304 mit Strafe bedroht ist.

Ok, jetzt aber wieder ernsthaft. Natürlich bin ich ein strikter Gegner von Überwachungskameras, denn wie oben schon erwähnt wird keine Kamera eingreifen können wenn ein Verbrechen geschieht. Und die gängiige Strategie Streifenpolizisten durch Überwachungskameras zu ersetzten und kleine Polizeidienststellen zugunsten von großen Zentralen zu schließen kann ich in keiner Weise etwas abgewinnen.

Interessanterweise sehe ich mittlerweile kaum noch die CSU-Plakate mit dem schönen Wahlwerbespot: „Was unser Land jetzt braucht: Sicherheit“

Klar, die jüngsten Ereignisse dürften zwar vielleicht durchaus innerhalb der Statistik liegen, aber trotzdem dem dümmsten Bildzeitungsleser langsam klar machen, dass irgendwas verkehrt ist im Land wenn Jugendliche zu Mördern werden.

Damit sind wir bei der anderen Seite der Medaille. Und die heißt, ebenso wie es die CSU in ihrem anderen Wahlslogen über die Dinge die Deutschland braucht äußert, schlicht und einfach „Verantwortung“.

Verantwortung gegenüber meinen Mitmenschen. Das Opfer von Solln hat diese Verantwortung übernommen als er sich schützend vor die Opfer der räuberischen Erpressung gestellt hat. Verantwortung hat viel mit Zivilcourage zu tun, eben die Bereitschaft anderen Beizustehen die in Not sind. Das gilt gleichermaßen für die Opfer von Gewalttaten wie es auch für Unfallopfer gilt die ja ebenfalls oft zwar begafft werden, aber niemand will ihnen wirklich helfen.

Verantwortung heißt für mich aber auch, solche Vorfälle nicht mit einem „Shit happens“ dann irgendwann zu verdrängen sondern sich Gedanken zu machen, wie es denn überhaupt dazu kommen konnte dass zwei junge Menschen zum Mörder wurden. Es ist sehr müßig sie in Bildzeitungsmanier zu Bestien zu stilisieren, aber ich bin der Meinung, dass niemand als Mörder geboren wird, sondern sich dahin entwickelt. Verantwortung für unsere Mitmenschen sollte daher nicht nur darin bestehen, anderen in akuten Notlagen zu helfen, sondern vor allen Dingen auch darin, zu erkennen wann Kinder und Jugendliche in unserem System gefährdet sind. Der Volksmund sagt nicht umsonst Dinge wie „abrutschen“ oder „auf die schiefe Bahn“ kommen.

Wie kommen Jugendliche in so eine Situation dass ihre einzige Konfliktlösungskompetenz in der brutalen Anwendung von Gewalt liegt? Klar, wenn man sich mit solchen „sozialen Problemfällen“ befasst trifft man auf gängige Klischees wie die arbeitslosen Eltern die mit ihren Problemen überfordert sind und darunter das Kind vernachlässigen oder der Gruppendruck der Konsumgesellschaft die Jugendliche „exkludiert“ wenn sie sich keine Designerklamotten leisten können.

Wo sind also die Leute die Verantwortung für ihre Mitmenschen und deren Kinder übernehmen um ihnen in Zeiten von Arbeitslosigkeit und anderen Problemen trotzdem eine Perspektive und Halt wie der sprichwörtliche Fels in der Brandung geben. Wo sind die Politiker die statt die gemeingefährlich spekulierenden Banken ständig mit neuen Milliarden zu versorgen das Geld lieber in Sozialausgaben stecken die den Menschen im Land zugute kommen und nicht dem Kapital?

Auch wenn die Erosion unserer moralischen Werte sehr schleichend voran geht muss ich mich doch fragen, ob es nicht Zeit ist, diesen Trend umzukehren. Im privaten Umfeld tue ich das seit langem indem ich nicht wegschaue wenn ich auf soziale Notlagen aufmerksam werde sondern sogut ich es kann dann zu helfen versuche. Trotzdem fühle ich mich nur wie der Tropfen auf den sprichwörtlichen heißen Stein. Was ich mir nach den Gewaltexzessen der letzten Woche gewünscht hätte ware eine politische Diskussion gewesen, die sich tatsächlich bemüht, die Ursachen zu verstehen und trotz allem verständlichen Zorn auf die Täter und ihre nicht entschuldbaren Taten es trotzdem fertig bringt statt nach mehr staatlicher Gewalt vielleicht auch nach mehr sozialer Fürsorge zu rufen. Denn Artikel 20 GG Abs. 1 sagt immer noch:

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

Und nein, meine Damen und Herren in der Politik, den Spruch „sozial ist was Arbeit schafft“ könnt ihr euch getrost in die Haare schmieren. Mein Begriffsverständnis von „sozial“ gründet sich auf die Definition einer Gesellschaft, in der die Mitglieder dieser Gesellschaft solidarisch füreinander einstehen. Der Begriff der Gesellschaft schlägt sich auch in der englischen Wortvariante „society“ nieder. Und wer mit diesem Hintergrund Menschen als „asozial“ bezeichnet exkludiert diese mit seiner Definition aus der Gesellschaft und legt damit den Grundstein für die Probleme.

Aber in der Politik geht es ja schon lange nicht mehr um den Menschen. Wie mir andere Leute als Kommentar auf die hier verlinkte Rede von Jörg Tauss zur Situation in Deutschland versicherten war desen Rede die einzige von vielen in der über Menschen gesprochen wurde. Andere Redner philosophierten lieber über Geld, Finanzkrise usw.

Hoffen wir, dass die anstehende Bundestagswahl Leute ins Parlament bringt die tatsächlich bereit sind Verantwortung zu übernehmen und nicht nur darüber faseln.

Jörg Tauss zur Situation in Deutschland

Ingo hat heute dankenswerterweise einen Artikel über die Rede von Jörg Tauss im Deutschen Bundestag zur Situation in Deutschland gebracht.

Was mir persönlich sehr gut am Stil von Jörg Tauss gefallen hat, war dass er zum Schluß seiner Rede auch Dankesworte an die vielen Dienstleister im Bundestag (z.B. Garderobenfrauen) gerichtet hat, diese Leute also tatsächlich als Personen und nicht nur als Dienstleistungsfunktionen respektiert hat.

Ansonsten hat Jörg Tauss schon ein paar Mißstände aufgezeigt. Am wirklich unverschämtesten fand ich, dass er z.B. keine Einsicht in der Vertrag mit Toll Collect erhielt, angeblich weil dort Geschäftsgeheimnisse enthalten sind. Muß ich jetzt davon ausgehen, dass dieser Vertrag ohne parlamentarische Kontrolle und damit eigentlich ohne demokratische Legitimation zustande gekommen ist? Willkommen in der Bananenrepublik Deutschland.

Lernresistent

Manch einer ist wirklich lernresistent. Einer von diesen bedauernswerten Leuten ist unser Kriegsminister Jung. Nachdem am Freitag bei einem von der Bundeswehr angeforderten Angriff auf zwei von den Taliban gekaperte Tanklaster schätzungweise 125 Menschen ums Leben kamen merkt sein Ministerium langsam und als letztes dass wohl auch einige Opfer aus der Zivilbevölkerung zu derem Schutz man ja angeblich in Afghanistan unterwegs ist darunter waren.

Beim Spiegel gibt es einen Artikel über die neue Nachrichtenlage aus dem Ministerium. Wörtlich heißt es da:

Eindeutig scheine ihm, „dass der überwiegende Anteil Taliban gewesen sind“, sagte Jung am Montag im ZDF.

Na, dann ist ja alles klar. Wo gehobelt wird, da fallen Späne und im Krieg (auch wenn Jung diese Vokabel grundsätzlich vermeidet) fließt eben auch Blut. Was mir persönlich allerdings bei dieser Aussage sehr zu denken gibt ist die Schere im Kopf, die wir seit dem 11. September 2001 installiert haben. Dazu passt auch das vorgebliche Merkel-Zitat „Wenn es zivile Opfer gegeben hat, dann bedauere ich das natürlich“.

Wie tief sind wir gesunken, dass wir auf die zugegebenermaßen gewaltsame und mit Todesopfern verbundene Entführung von zwei Tanklastzügen dann diese in einem Flußübergang festgefahrenen Fahrzeuge zerstören muß und dabei den Tod der umstehenden Menschen in Kauf nimmt. Ja, einige von diesen Toten mögen Taliban-Kämpfer gewesen sein, vielleicht auch ganz böse Typen, aber wenn der Afghanistan-Einsatz laut unserer Politik kein Kriegseinsatz ist, sondern der Unterstützung der Polizei dient, dann muß ich schon fragen, ob wir uns hier zum Richter und Henker ohne Gerichtsverfahren aufschwingen?

Wir haben es mittlerweile geschafft, den „bösen Terroristen“ den Status „Mensch“ abzusprechen und darum dürfen diese ohne Rücksicht auf Verluste bombardiert werden, man darf sie festsetzen und in Lager wie Guantanamo bringen wo sie außerhalb jeder Rechtsstaatlichkeit unter menschenunwürdigen Bedingungen gehalten und gefoltert werden. Wahrlich ein echtes Zeichen von Rechtsstaatlichkeit.

Und dann kommt der Herr Kriegsminister Jung (ja, ich weigere mich ihn weiterhin als „Verteidigungsminister“ zu bezeichnen) und sagt „der überwiegene Anteil seien aber Taliban gewesen“. Hallo Herr Jung, haben sie den Schuß nicht gehört, der am 15. Februar 2006 auf sie abgefeuert wurde? Ich zitiere:

§ 14 Abs. 3 Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG), der die Streitkräfte ermächtigt, Luftfahrzeuge, die als Tatwaffe gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden sollen, abzuschießen, ist mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig. Dies entschied der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts mit Urteil vom 15. Februar 2006. Für die Regelung fehle es bereits an einer Gesetzgebungsbefugnis des Bundes. Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 GG, der den Einsatz der Streitkräfte bei der Bekämpfung von Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen regelt, erlaube dem Bund nicht einen Einsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Waffen. Darüber hinaus sei § 14 Abs. 3 LuftSiG mit dem Grundrecht auf Leben und mit der Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes nicht vereinbar, soweit von dem Einsatz der Waffengewalt tatunbeteiligte Menschen an Bord des Luftfahrzeugs betroffen werden. Diese würden dadurch, dass der Staat ihre Tötung als Mittel zur Rettung anderer benutzt, als bloße Objekte behandelt; ihnen werde dadurch der Wert abgesprochen, der dem Menschen um seiner selbst willen zukommt.

Wie steht es also um das im Grundgesetz verbriefte Recht auf Leben und Menschenwürdegarantie wenn es sich nicht um Passagiere eines Verkehrsflugzeugs sondern um arme Dorfbewohner und Taliban in Afghanistan handelt. Die letzteren sind ja von der Politik mittlerweile als „Nicht-Menschen“ von der Menchenwürdegarantie ausgenommen (siehe oben) und die Dorfbewohner werden dann eben als „bloße Objekte“ die dummerweise zufällig im Kampfgebiet unterwegs sind behandelt?

Nein, Herr Jung, ich will gar nicht dass sie jetzt 3 Wochen vor der Wahl zurücktreten. Ich wünsche mir vielmehr, dass sie und die anderen Volksverräter am 27. September in einem demokratischen Wahlprozess aus Amt und Würden entfernt werden.

Nur mal noch als Randanmerkung: Wir helfen gerade einer Freundin bei der Auswertung eines Fragebogens, den sie Hauptschülern im Alter von 13-16 Jahren vorgelegt hat. Auf die Frage was sich diese jungen Leute wünschen liest man ziemlich häufig „keine Kriege mehr“. Das sollte uns „Erwachsenen“ doch zu denken geben.

Die Vertraulichkeit von Kommunikation

Eine der Grundfesten unseres Rechtsstaates ist die Vertraulichkeit von Kommunikation. Dafür hat das Grundgesetz in Artikel 10 das Briefgeheimnis definiert. Diese Vertraulichkeit der Kommunikation sollte auch für Emails gelten. Technisch ist eine Email natürlich nur Text der von meinem Client an meinen Postausgangsserver verschickt wird und von dem dann wieder an den Mailserver des Empfängers geschickt wird. Klar, dass man an jedem Punkt dieser „Verbindungsstrecke“ die Mails mitlesen kann solange sie nicht verschlüsselt sind.

Etwas in der Art scheint nun bei der CDU-Fraktion in der Stadt Geldern passiert zu sein. Heise Online berichtet dass Mails an Mitglieder der Fraktion wohl nicht in den Postfächern der Adressaten landeten, sondern erst mal ein „virtuelles Umleitungsschild“ sahen welches eingehende Mails in das Postfach der Fraktionsspitze, einer Frau Marianne Ingenstau umleitete.

Ingenstau bestätigte laut Rheinische Post die „Umleitung“ der E-Mails über die Fraktionsspitze: Man mache das seit etwa einem Jahr so. Sie verglich demnach das Einsehen der privaten E-Mails mit dem Lesen von Postkarten und sieht deshalb keine rechtlichen Probleme beim Umleitung der Mails.

Ja, man kann Postkarten lesen, trotzdem hindert mich mein Respekt vor Artikel 10 GG daran, das zu tun wenn die Postkarte nicht an mich adressiert ist. Man kann auch offenstehende Wohnungen betreten, trotzdem würde ich das nur dann tun, wenn ich entweder vom Wohnungsinhaber eingeladen werde das zu tun oder berechtigten Grund zur Annahme haben muss, dass dieser vielleicht hilflos in der Wohnung liegt und daher meine Hilfe benötigt. Ansonsten gilt für mich einfach kategorisch Artikel 13 GG.

Es zeugt von einem sehr exotischen Rechtsverständnis der CDU-Fraktionsspitze in Geldern, wenn die private Kommunikation der Fraktionsmitglieder vom Vorstand überwacht wird. Eine Mail-Adresse wie Vorname.Nachname@CDU-Geldern.de ist für mich eine „private Adresse“ und als Mail-Sender würde ich erwarten, dass meine Mail dort beim Fraktionsmitglied ankommt. Vielleicht sollte jemand den Politikern mal den Unterschied zwischen „role based“ und „private“ verklickern. Natürlich wäre es legitim, Mailadressen wie „Vorstand@CDU-Geldern.de“ oder „Auschuss-fuer-X@CDU-Geldern.de“ einzurichten und die Mails an solche Adressen dann in verschiedene private Postfächer zu leiten. Eine Default-Umleitung von privaten Mails an eine „Kontrollinstanz“ ist aber in keinem Fall ein Instrument welches in einem freiheitlichen Rechtsstaat angewendet werden sollte.

Und wenn so etwas dennoch passiert, dann nicht weil das Internet ein rechtsfreier Raum ist, sondern weil es immer wieder Leute geben wird, die die Freiheiten und Rechte die wir uns in langen Jahren erkämpft haben nicht respektieren und mißachten. Und genau deswegen werde ich am 27. September mein Kreuz bei der Piratenpartei machen, denn die steht für die Wahrung dieser Grundrechte und nicht wie die „bürgerlichen Parteien“ die eher für den Abbau der bürgerlichen Grundrechte stehen.