Meine Tochter, die Verfassungsrechtlerin

Groß werden ist anstrengend. Vor allem wenn man einen sehr individuellen Modegeschmack hat und deswegen hin und wieder von den Schulkameraden gehänselt wird. Anna hat bisher darunter gelitten, dass ihre Klassenkameraden weniger individualistisch veranlagt sind, aber gestern hat sie mit schwerem Geschütz dann zurückgefeuert. Als wieder mal über ihre Kleiderwahl gelästert werden sollte zitierte sie vor den anderen kleinen Lästermäulern flugs mal Artikel 2 GG:

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

Und sich so anzuziehen wie sie es will gehört für unsere kleine Verfassungsrechtlerin zum Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Ihre Klassenkameraden haben jedenfalls nicht mit so einer Antwort auf ihre Hänseleien gerechnet und wohl bisher auch noch keine Vorstellung vom Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Anna hingegen schon, sie hat ein Buch für Kinder das das GG erläutert und das liest sie gerne. Ich bin sehr zufrieden mit meinem kleinen Engel.

Gilt §90 StGB eigentlich auch in diesem Fall?

§90 StGB behandelt die  Verunglimpfung des Bundespräsidenten:

(1) Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) den Bundespräsidenten verunglimpft, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

Sinn und Zweck des Paragraphen wird in Absatz 3 erklärt:

(3) Die Strafe ist Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, wenn die Tat eine Verleumdung (§ 187) ist oder wenn der Täter sich durch die Tat absichtlich für Bestrebungen gegen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze einsetzt.

Das ist ja alles ganz schön, aber was macht man wenn sich der Herr Bundespräsident höchstpersönlich gegen die Verfassungsgrundsätze wendet? Denn Horst Köhler war unlängst bei unseren „Aufbauhelfern“ in Afghanistan und hat dort über die Hintergründe des Einsatzes von Bundeswehrsoldaten am Hindukusch philosophiert:

Meine Einschätzung ist aber, daß insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, daß ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muß, daß im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern , die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen. Alles das soll diskutiert werden und ich glaube, wir sind auf einem nicht so schlechten Weg.

Also befürwortet der Bundespräsident Kriege zur Wahrung von wirtschaftlichen Interessen. Diese Meinung könnte ich nachvollziehen wenn er noch seine Rolle als IWF-Vorsitzender hätte, aber als Bundespräsident ist so ein Statement sozusagen ein Angriff auf die Verfassungsgrundsätze. Und darum gibt es nun auch eine Strafanzeige gegen Horst Köhler. Sehr lesenswert auch wenn ich den Vorwurf gemäß Â§89 StGB präzisieren würde:

(1) Wer auf Angehörige der Bundeswehr oder eines öffentlichen Sicherheitsorgans planmäßig einwirkt, um deren pflichtmäßige Bereitschaft zum Schutz der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder der verfassungsmäßigen Ordnung zu untergraben, und sich dadurch absichtlich für Bestrebungen gegen den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze einsetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Und jetzt? Der Bundespräsident verstößt gegen seinen Amtseid und obigen Paragrpahen im Strafgesetzbuch. Und darf ich diese Einschätzung so formulieren oder mache ich mich mit dieser freien Meinungsäußerung nun gemäß Â§90 StGB strafbar? Genießt Horst Köhler das gleiche Unfehlbarkeitsprivileg das der Papst für sich beansprucht?

Unabhängig davon haben wir heute bei der Diskussion des Themas im Kollegenkreis dann festgestellt dass man den Wikipedia-Artikel zum Bundesverdienstkreuz um Definition „Orden um den wirtschaftlichen Verdienst der Bundesrepublik zu sichern“ ergänzen müsste.

Verfassungsbeschwerde gegen ELENA

Der ELektronische ENtgelt NAchweis ist alles andere als erwünscht, insbesondere wenn man sieht, wieviele Daten hier zentral gesammelt weden sollen. Darum hat der FoeBuD jetzt eine Verfassungsbeschwerde gegen ELENA angeleiert. Daran kann sich jeder beteiligen, allerdings ist die Investition von 55 Cent für die Briefmarke notwendig, da hier ein Formular ausgedruckt und an den beauftragten Rechtsanwalt geschickt werden muss. Eine Investition die in meinen Augen sehr sinnvoll ist. Ich habe daher mein Formular schon ausgedruckt, unterschrieben und morgen geht es zur Post. Ja, es eilt, denn bis spätestens 25. März sollen die Formulare abgeschickt werden da noch vor dem 1. April die Verfassungsbeschwerde eingereicht werden muss.

Das Geschäftsmodell ist die Abzocke

Heute auf Wikilieaks: Präsentation zur Gewinnverbesserung durch Abmahnverfahren. Es gibt also tatsächlich eine Firma Digi-Right-Solutions die sich zur Aufgabe gemacht hat, Filesharer geschäftsmäßig abzumahnen. Netzpolitik.org hat hier einen schönen Artikel dazu, aber noch besser gefällt mir das, was Udo Vetter im Lawblog dazu schreibt.

Ein sehr schöner Beleg dafür, wie die Branche mittlerweile tickt. Überdies ein wunderbares Dokument, welches Gerichte sicher gerne lesen werden, wenn sie sich mit der Frage nach dem Rechtsmissbrauch durch Massenabmahnungen beschäftigen müssen.

Da bleibt mir als „Nicht-Anwalt“ ja nur noch, ein wenig über die Präsentation dieser seltsamen Firma abzulästern. Also wirklich, was da auf 30 Seiten in der PDF geboten wird ist für einen Design-Puristen und gelegentlichen Leser von Presentation ZEN sozusagen ein Brechmittel. Textblöcke die die Fußzeilen überpinseln, Wörter die umgebrochen werden ohne Trennstrich und jede Menge grobe Designfehler, die wirklich geeignet sind sich die letzte Mahlzeit nochmal durch den Kopf gehen zu lassen.

Und Deutsch können diese Spezialisten auch nicht. Wenn ich z.B. so was lese wie:

DigiRights Solution GmbH wurde im Jahr 2007 zum Schutz von Urheberrechtsverletzungen in P2P- Netzwerken gegründet

Soso. Zum Schutz „von“ und nicht „vor“. Ok, in gewisser Weise ist das ja verständlich, denn immerhin sind die Urheberrechtsverletzungen ja die Existenzgrundlage dieser Firma und die muß natürlich mit allen Mitteln geschützt werden.

Freiheit

Heute mal ein kleiner Streifzug durchs Netz zum Thema Freiheit. Ingo Jürgensmann stellt fest „Freiheit ist das Fehlen von Zwang“ und stellt die Frage, ob unser Zugangserschwerungsgesetz bereits Zwang ist oder ob dieser erst durch das Erzwingen der Verwendung von „zensierenden DNS-Servern“ erfolgt. Wir erinnern uns dass dieses Gesetz ja angeblich gegen die massenhafte Kinderpornographie im Netz eingesetzt werden soll. Mittlerweile stehen aber andere Interessenvertreter Schlange um weitere „sperrwürdige“ Seiten mit dem Bann des Stoppschildes der Zensursula zu belegen.

Als ich vorhin nach ein paar Zitaten zum Thema Freiheit gesucht habe stolperte ich auch über eines aus einer Zeit als es noch kein Internet gab und auch Fernsehen nur für ein paar Leute:

Die Freiheit der Rede hat den Nachteil, daß immer wieder Dummes, Häßliches und Bösartiges gesagt wird. Wenn wir aber alles in allem nehmen, sind wir doch eher bereit, uns damit abzufinden, als sie abzuschaffen.

Gesagt hat dieses Zitat kein Geringerer als Winston Churchill (britischer Staatsmann, 1874-1965). Und ja, auch wenn andere die Freiheit der Rede in einer für uns schier unerträglichen Weise mißbrauchen, so wäre die Abschaffung dieser Freiheit doch noch viel unerträglicher.

Zu den anderen Grundfreiheiten gehört meines Erachtens auch die Freiheit der Person, also der Schutz davor einfach von der Straße unter fadenscheinigen Begründungen weggeholt und eingesperrt zu werden. Das aber genau ist zwei muslimischen Mitbürgern in München passiert, als man in Panik verfiel weil Osama bin Laden mit Anschlägen auch auf das Oktoberfest gedroht hat. Udo Vetter vom Lawblog hat hier einen Artikel, der beschreibt, „wie man jeden wegsperren kann„. Ja, die Beweislage war in diesem Fall auch wirklich erdrückend:

Er soll mal mit jemandem gesprochen haben, der wiederum einen bekennenden Terroristen kennt.

Da kommen gruselige Erinnerungen an Andrej Holm hoch der 2007 wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verhaftet wurde, unter anderem weil er die gleichen Worte benutzt wie die sogenannte Militante Gruppe, nämlich „Gentrifizierung“ und „Prekarisierung“. Man male sich mal die Drohkulisse aus, die man hier errichten kann, wer also bestimmte Vokabeln kennt oder jemanden kennt der diese kennt kommt in den Verdacht ein Terrorist zu sein. Da fehlt nur noch, dass so wie es Orwell in „1984“ beschrieben hat ein Wahrheitsministierium geschaffen wird welches „Neusprech“ definiert und damit den „politisch korrekten“ Wortschatz der Bürger.

Udo Vetter jedenfalls stellt fest:

Wer so denkt und entscheidet, handelt nicht mehr rechtsstaatlich.

IANAL (I am not a lawyer, ich bin kein Rechtsanwalt), aber ich durfte im Studium mal ein Semester Rechtslehre als allgemeinwissenschaftliches Wahlpflichtfach genießen. Das war allerdings zu Beginn der 80er Jahre als die Welt noch in Ost und West aufgeteilt war und der „Westen“ sich selbst als „die Guten“ definierte und man noch gegen eine staatlich angeordnete Volkszählung bis vors Bundesverfassungsgericht ging. Heute sind wir ja alle wieder mit einer Personenkennziffer – der Steueridenfikationsnummer – katalogisiert und die privaten Daten gibt man sowieso gerne für die Aussicht auf ein paar Rabattpunkte ab.

Und während man sich früher noch an das Zitat von Rosa Luxemburg erinnerte dass Freiheit immder die Freiheit der Andersdenkenden ist werden heute auf Andersdenkene oder Andersgäubige gerne Hexenjagden veranstaltet. Es ist ja nicht so, dass wir hier keine historische Erfahrung hätten. Aber wenn wir nicht aus unserer unseligen Vergangenheit lernen können, dann vielleicht aus der hypothetischen Zukunft?

Und dass unser Preis für die Freheit ständige Wachsamkeit ist wird auch von Ingo erkannt:

Es heißt also, weiterhin wachsam zu sein und den Politikern auf die Finger zu schauen und auf die Füsse zu treten, ebenso wie jeder dazu aufgerufen ist, sich auch nach der Wahl in den nächsten 4 Jahren weiterhin für Grund- und Bürgerrechte einzusetzen!

Dem kann ich mich nur anschließen.

Denker in Uniform

Die NachDenkSeiten haben heute einen höchst interessanten Artikel mit dem Titel „Bundeswehr: Marsch in die Vergangenheit„:

„Wir sind dabei, das Vertrauen der Afghanen durch die unverhältnismäßige Gewalt zu verlieren.“ Das schrieb der Oberstleutnant Jürgen Heiducoff, der von 2006 bis zu seiner Abberufung 2008 in der Funktion des militärischen Beraters in der deutschen Botschaft in Kabul war, in einem Brief an Bundesminister Frank-Walter Steinmeier. „Es ist unerträglich, dass unsere Koalitionstruppen und ISAF inzwischen bewusst Teile der Zivilbevölkerung und damit erhoffte Keime einer Zivilgesellschaft bekämpfen. Westliche Jagdbomber und Kampfhubschrauber verbreiteten Angst und Schrecken innerhalb der Zivilbevölkerung.“ Heiducoff, unter seinen Offizierskameraden als aufrichtig und engagiert geltend, warnte vor einer völkerrechtlichen Aushöhlung des UNO-Mandats und kritisierte in diesem Zusammenhang die sich immer mehr verselbständigende militärische Führung. Auch in der Informationspolitik gegenüber Politikern und Journalisten würde die militärische Lage unzulässig geschönt dargestellt. Die Militärführung und die sie stützende Bürokratie reagierte wie immer: Zunächst mit Druck.

Obwohl ich selbst nicht bei der Bundeswehr war halte ich unsere „Bürger in Uniform“ trotz allem für Leute die sich eben entschieden haben, die Grundwerte unserer Demokratie eben notfalls auch mit militärischen Mitteln zu verteidigen. Zu den Grundwerten unserer Demokratie gehört aber meines Erachtens vor allem auch das Recht eines jeden Menschen die Handlungen die er tut oder zu denen er per Befehl verdonnert wurde zu hinterfragen und sich nötigenfalls auch Aktionen zu verweigern, die sich nicht mit seinem Gewissen vereinbaren lassen. Aus diesem Grund habe ich damals zur Hochzeit des Kalten Krieges auch den Wehrdienst verweigert, zu frisch waren Dinge wie Nato-Doppelbeschluß und der Abschuß von KAL 007 über Sachalin.

Dieser Artikel zeigt aber dann, dass Denker in Uniform wohl eher unerwünscht sind. So wie man sich es eben vorstellt, der Soldat hat zu kämpfen und nicht zu denken, das ist bei der Sache möglicherweise nur hinderlich. Wer trotzdem nachdenkt

wird zunächst als „Nestbeschmutzer“ stigmatisiert und der Konflikt zum individuellen Problemfall erklärt. Wenn Soldaten heute darüber hinaus riskieren, Missstände in der Bundeswehr oder der Sicherheitspolitik öffentlich aufzuzeigen, müssen sie mit harten Sanktionen oder Strafen rechnen.

Wir erinnern uns mal zurück, als die Mauer in Berlin fiel und Deutschland die Wiedervereinigung feierte. Wenig Grund zum Feiern hatten damals die Soldaten der DDR die wegen ihrer „Pflichterfüllung“ an der innerdeutschen Grenze sich vor einem Gericht zu verantworten hatten, obwohl ihre Handlungen zur Zeit der Tat von DDR-Recht „gedeckt“ waren. Damals hieß es, dass ein Soldat eben selbt auch feststellen muss  wann ein Befehl gegen internationales Recht verstößt und diesen dann eben nicht ausführen darf.

Heute, nicht mal 20 Jahre später kriegen mitdenkende Soldaten dann Probleme, wenn sie das was ihnen befohlen wird hinterfragen. So etwas ist bestimmt nicht das, was man gemeinhin unter dem Begriff „Rechtssicherheit“ versteht.

Ich habe jedenfalls vor den Denkern in Uniform sehr viel Respekt, denn es zeigt dass es durchaus noch vernünftige Menschen bei der Bundeswehr gibt. Allerdings gehören diese wohl auch angesichts der Unionspläne die Bundeswehr auch im Landesinneren einzusetzen wohl zu der extrem unbequemen Kategorie, denn die könnten dann ja auch die Sinnhaftigkeit eines Inlandseinsatzes hinterfragen.

Links für 2009-09-26 (Gestapo-Remix)

Heute mal nur einige Links zum gleichen Thema und eine sehr provokative Überschrift, aber am Vorabend der Bundestagswahl sollte man schon darauf aufmerksam machen, dass dieser Staat massiv in Gefahr ist.

Morgen habt ihr alle es in der Hand, diese Entwicklung zu stoppen oder „abzunicken“. Geht wählen!

Das untere Ende der Skala

Auf Telepolis läuft gerade ein mehrteiliger Artikel zum Thema „Sanktionen gegen Hartz-IV Empfänger“. Das ganz ist als Interview von Claudia Dasekin und Soveig Koitz aufgezogen, den Autoren einer über 100-seitigen Broschüre (PDF), die sich mit den gegen Hartz-IV-Empfänger ausgesprochenen Sanktionen befasst. Der erste Teil „Aushungern und Fordern“ beschreibt unter anderem, dass ein Großteil der Sanktionen widerrechtlich ist. Dazu passt auch der am 5. August hier verlinkte Artikel auf Kinder-Alarm zum Thema „Sanktionen„, eben das die Agenturen wohl eine Mindest-Abschußquote nachweisen müssen.

Die PDF-Broschüre liest sich zum Teil wie eine Horrorgeschichte, aber das Erschreckendste daran ist wohl, dass die dort geschilderten Fälle eben nicht aus dem Reich der Phantasie stammen sondern Menschen in diesem Land so angetan wurden. Ein bemerkenswertes Zitat von Jean-Jaques Rousseau (1712-1778) lautet:

Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, daß er tun kan, was er will, sondern daß er nicht tun muß, was er nicht will.

Rousseau ist 231 Jahre tot, dieses Freiheitsprinzip hat es aber trotzdem vor 60 Jahren in unser Grundgesetz geschafft. Artikel 12 Abs.2 lautet:

(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.

Jetzt kann man natürlich trefflich darüber philosophieren, ob der Zwang an sinnlosen Beschäftigungsmaßnahmen oder der Druck sich sittenwidrigen Arbeitsverträgen zu unterwerfen ein Verstoß gegen diesesn Grundgesetzartikel ist oder ob das mittlerweile unter die „allgemeine, für alle gleichen öffentliche Dienstleistungspflicht“ fällt.

Thomas Meyer hat dieses Zwangsarbeit bereits am 26.02.2005 als „Betrachtung aus der Sicht eines Gefangenen“ thematisiert. Wenn man ein wenig im Internet sucht findet man z.B. auch ein PDF-Formular mit Widerspruch gegen die Zwangsarbeit durch die Eingliederungsvereinbarung.

Auch der „Sozialticker“ fragt bereits am 6. Juli 2008 „Hartz IV: Zwangsarbeit wieder salonfähig?“ Letztlich stellt man bei einer solchen Recherche dann fest, dass wir uns zwar hin und wieder um die Entschädigung von Zwangsarbeitern im Dritten Reich kümmern, aber gleichzeitig hier und jetzt eine ähnliche Situation für die Leute die unter Hartz-IV fallen tolerieren. Natürlich werden jetzt wieder andere sagen, dass der Zwangsarbeiter der Nazi-Zeit Angst um sein Leben haben musste während hier ja (offiziell) keiner verhungert. Aber wenn man die Broschüre liest und dann feststellt, dass Leute die sich dank der Sanktionen z.B. kein Insulin für ihre Diabetes leisten konnten und damit tatsächlich subjektiv Todesängste empfunden haben, dann relativiert sich das wieder.

Wobei Emotionen sowieso relativ sind. Meine Tochter kann in Wehklagen ausbrechen wenn sie am Fensterbrett eine tote Fliege findet („heul, das war meine Lieblingsfliege“), andere Leute trauern um Verwandte oder weil sie ihren Job verlieren usw. Es gibt meines Wissens keine Skala in der körperlicher Schmerz oder auch seelischer Schmerz gemessen werden kann. Und es wäre überheblich, die Leidenden nicht verstehen zu wollen.

Wie können wir es uns dann anmaßen, „zumutbare Arbeit“ zu definieren, noch dazu in einer Zeit in der längst klar ist, dass diese „Zumutbarkeit“ eigentlich nur zwei Ziele verfolgt:

  • Viele „Beschäftigungsgesellschaften“ verdienen richtig gut an den an sie vermittelten Hartz-IV-Empfängern
  • Durch die „Zwangsverordnung von zumutbarer Arbeit“ drückt man auch wunderschön das Lohnnivau. Nicht umsonst stellen wir im internationalen Vergleich plötzlich fest, dass in Deutschland die Reallöhne gesunken sind während sie überall anders gestiegen sind.

Das eigentliche Ziel „Wiedereingleiderung in den Arbeitsmarkt“ hat man dabei längst verdrängt, kein Wunder in Zeiten von Stellenabbau und Kurzarbeit existiert faktisch der erwünschte Arbeitsmarkt sowieso nicht mehr.

Ich hoffe sehr, dass sich vor der Wahl noch möglichst viele Leute dieses Interview und das recherchierte Material zu Gemüte führen und sich ernsthaft fragen, ob sie mit ihrer Stimme am Sonntag eine Fortführung dieser menschenverachtenden Politik ermöglichen wollen, oder ob sie diese Zustände ändern wollen.

Augsburg und die Mogwais

So, wer weiß aus dem Stegreif was ein Mogwai ist? Mogwais waren die „tierischen“ Hauptdarsteller in Steven Spielbergs Film „Gremlins – Kleine Monster„. Eine der drei Grundregeln für Mogwais ist:

Den Mogwai nicht nach Mitternacht fressen lassen.

Augsburg scheint auch ein Mogwai-Problem zu haben. Zumindst dürfen Leute die beim nächtlichen Stadtbummel durch Augsburgs Prachtmeile Hunger verspüren zwar essen, aber nur innerhalb geschlossener Räume. Einen Döner zum Mitnehmen gibt es nach Anordnung des Ordnungsreferenten Walter Böhm schon lange nicht mehr, da hat auch das Protestpicknick auf dem Rathausplatz im Juni nichts geändert.

Die Umsetzung der städtischen Ordnungsvorschriften delegiert man natürlich an die Gastwirte an der Front. Das hat den Imbiss-Betreiber Hasan Tekin jetzt so richtig in Probleme gebracht, denn einer der Gäste gegenüber denen er das Dönerverbot durchsetzen wollte war Jurist und empfand das als „Freiheitsberaubung“. Darum Hat Hasan jetzt die Staatsanwaltschaft am Hals, die eben wegen dieser „Freiheitsberaubung“ ermittelt.

Der Ordnungsreferent ist aber trotz dieser juristischen Tretminen wohl weiter von seinem Erlass überzeugt. Die Augsburger Allgemeine schreibt:

Böhm ist überzeugt, dass das Außenverkaufsverbot den Müll in der City reduziert hat.

Das erinnert mich an meinen ersten Urlaub in Kapstadt im Jahre 1989. Diese Stadt war auch blitzsauber, dort geschah die „Erziehung“ der müllverursachenden Bürger aber nicht mit „Freiheitsberaubung“ sondern mit zwei einfachen Mitteln:

  • Es gab alle paar Meter gut getarnte, aber trotzdem benutzbare Mülltonnen die auch regelmäßig geleert wurden.
  • An diesen Mülltonnen war deutlch sichtbar der Hinweis angebracht, dass derjenige der trotzdem seinen Dreck einfach auf die Straße kippt mit einer Geldstrafe belangt wird die nach damaligen Verhältnissen dort wohl etwa einem halben Monatslohn entsprach.

Die Angst vor der Gewalt

Vor knapp einer Woche wurde in Augsburg ein 17-jähriger Mann von zwei anderen überfallen und am Theodor Heuss Platz vor einen einfahrenden Bus gestoßen. Der Bus erfasste das Opfer mit dem Hinterrad und verletzte den jungen Mann schwer. Mittlerweile sind zwei Tatverdächtige ermittelt.

Nicht viel später gab es dann den Mord an der S-Bahn-Station Solln der bundesweit wohl für Schlagzeilen sorgt. Die Medien ereifern sich und die Volksseele scheint zu kochen was man unschwer feststellen kann wenn man in Foren und Newsgroups schaut.

Manche fordern nun ungeniert die Bewaffnung der Bevölkerung um sich vor solchen Attacken wirksam schützen zu können und andere schlagen gar eine bewaffnete Bürgerwehr vor. Und es sind möglicherweise die gleichen Leute, die vor einem halben Jahr kurz nach dem Amoklauf von Winnenden gefragt haben, warum denn Leute eine Waffe zuhause haben müssen.

Aber wie die Ereignisse heute in Ansbach zeigen braucht man für einen Amoklauf auch gar keine Schusswaffen, da reicht eine Axt, ein paar Messer und einige „Mollies“.Angesichts solcher Vorfälle fragt man sich natürlich, ob die Gewaltverbrechen in Deutschland zunehmen und wie man sich schützen kann.

Da zufällig auch gerade Wahlkampf ist (was bin ich froh, wenn die Bundestagswahl rum ist) ergießt sich die Politik natürlich auch in Vorschlägen, wie wir Deutschland wieder sicherer machen können.

Einer dieser Vorschläge ist, das Jugendstrafrecht zu verschärfen. Am besten mit Maximalstrafen bis 25 Jahren, wobei aber jedem klar sein sollte, dass eine Verschärfung des Strafrechtes keinerlei abschreckende Wirkung hat und man so eher ein inflationäres Ansteigen bei der Anzahl der Strafgefangen bewirkt.

Die andere im Beißreflex geäußerte Forderung besteht darin, noch mehr Überwachungskameras zu installieren. Eine Überwachungskamera hätte den Mord von Solln aber wohl auch nicht verhindert, und die Täter konnten auch ohne Kamera gefasst werden. Aber vielleicht sollte man froh um Überwachungskameras sein, vielleicht sitzt am anderen Ende noch ein Mensch und sieht zufällig die Tat live und kann einen Notruf absetzen, denn wie man heute lesen kann war die Notrufsäule in Solln seit 5 Jahren außer Betrieb. Das ist genau eines meiner regelmäßigen Alptraumszenarios, ich muss einen Notruf absetzen und die Infrastruktur die ich nutzen will funktioniert nicht.

Da stellt sich mir die Frage, ob die Staatsanwaltschaft, die ja überzeugt ist gegen niemanden in Solln wegen unterlassener Hilfeleistung ermittlen zu müssen sich wenigstens an §145 StGB erinnert der da lautet:

(2) Wer absichtlich oder wissentlich

1. die zur Verhütung von Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr dienenden Warn- oder Verbotszeichen beseitigt, unkenntlich macht oder in ihrem Sinn entstellt oder

2. die zur Verhütung von Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr dienenden Schutzvorrichtungen oder die zur Hilfeleistung bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr bestimmten Rettungsgeräte oder anderen Sachen beseitigt, verändert oder unbrauchbar macht,

wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in § 303 oder § 304 mit Strafe bedroht ist.

Ok, jetzt aber wieder ernsthaft. Natürlich bin ich ein strikter Gegner von Überwachungskameras, denn wie oben schon erwähnt wird keine Kamera eingreifen können wenn ein Verbrechen geschieht. Und die gängiige Strategie Streifenpolizisten durch Überwachungskameras zu ersetzten und kleine Polizeidienststellen zugunsten von großen Zentralen zu schließen kann ich in keiner Weise etwas abgewinnen.

Interessanterweise sehe ich mittlerweile kaum noch die CSU-Plakate mit dem schönen Wahlwerbespot: „Was unser Land jetzt braucht: Sicherheit“

Klar, die jüngsten Ereignisse dürften zwar vielleicht durchaus innerhalb der Statistik liegen, aber trotzdem dem dümmsten Bildzeitungsleser langsam klar machen, dass irgendwas verkehrt ist im Land wenn Jugendliche zu Mördern werden.

Damit sind wir bei der anderen Seite der Medaille. Und die heißt, ebenso wie es die CSU in ihrem anderen Wahlslogen über die Dinge die Deutschland braucht äußert, schlicht und einfach „Verantwortung“.

Verantwortung gegenüber meinen Mitmenschen. Das Opfer von Solln hat diese Verantwortung übernommen als er sich schützend vor die Opfer der räuberischen Erpressung gestellt hat. Verantwortung hat viel mit Zivilcourage zu tun, eben die Bereitschaft anderen Beizustehen die in Not sind. Das gilt gleichermaßen für die Opfer von Gewalttaten wie es auch für Unfallopfer gilt die ja ebenfalls oft zwar begafft werden, aber niemand will ihnen wirklich helfen.

Verantwortung heißt für mich aber auch, solche Vorfälle nicht mit einem „Shit happens“ dann irgendwann zu verdrängen sondern sich Gedanken zu machen, wie es denn überhaupt dazu kommen konnte dass zwei junge Menschen zum Mörder wurden. Es ist sehr müßig sie in Bildzeitungsmanier zu Bestien zu stilisieren, aber ich bin der Meinung, dass niemand als Mörder geboren wird, sondern sich dahin entwickelt. Verantwortung für unsere Mitmenschen sollte daher nicht nur darin bestehen, anderen in akuten Notlagen zu helfen, sondern vor allen Dingen auch darin, zu erkennen wann Kinder und Jugendliche in unserem System gefährdet sind. Der Volksmund sagt nicht umsonst Dinge wie „abrutschen“ oder „auf die schiefe Bahn“ kommen.

Wie kommen Jugendliche in so eine Situation dass ihre einzige Konfliktlösungskompetenz in der brutalen Anwendung von Gewalt liegt? Klar, wenn man sich mit solchen „sozialen Problemfällen“ befasst trifft man auf gängige Klischees wie die arbeitslosen Eltern die mit ihren Problemen überfordert sind und darunter das Kind vernachlässigen oder der Gruppendruck der Konsumgesellschaft die Jugendliche „exkludiert“ wenn sie sich keine Designerklamotten leisten können.

Wo sind also die Leute die Verantwortung für ihre Mitmenschen und deren Kinder übernehmen um ihnen in Zeiten von Arbeitslosigkeit und anderen Problemen trotzdem eine Perspektive und Halt wie der sprichwörtliche Fels in der Brandung geben. Wo sind die Politiker die statt die gemeingefährlich spekulierenden Banken ständig mit neuen Milliarden zu versorgen das Geld lieber in Sozialausgaben stecken die den Menschen im Land zugute kommen und nicht dem Kapital?

Auch wenn die Erosion unserer moralischen Werte sehr schleichend voran geht muss ich mich doch fragen, ob es nicht Zeit ist, diesen Trend umzukehren. Im privaten Umfeld tue ich das seit langem indem ich nicht wegschaue wenn ich auf soziale Notlagen aufmerksam werde sondern sogut ich es kann dann zu helfen versuche. Trotzdem fühle ich mich nur wie der Tropfen auf den sprichwörtlichen heißen Stein. Was ich mir nach den Gewaltexzessen der letzten Woche gewünscht hätte ware eine politische Diskussion gewesen, die sich tatsächlich bemüht, die Ursachen zu verstehen und trotz allem verständlichen Zorn auf die Täter und ihre nicht entschuldbaren Taten es trotzdem fertig bringt statt nach mehr staatlicher Gewalt vielleicht auch nach mehr sozialer Fürsorge zu rufen. Denn Artikel 20 GG Abs. 1 sagt immer noch:

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

Und nein, meine Damen und Herren in der Politik, den Spruch „sozial ist was Arbeit schafft“ könnt ihr euch getrost in die Haare schmieren. Mein Begriffsverständnis von „sozial“ gründet sich auf die Definition einer Gesellschaft, in der die Mitglieder dieser Gesellschaft solidarisch füreinander einstehen. Der Begriff der Gesellschaft schlägt sich auch in der englischen Wortvariante „society“ nieder. Und wer mit diesem Hintergrund Menschen als „asozial“ bezeichnet exkludiert diese mit seiner Definition aus der Gesellschaft und legt damit den Grundstein für die Probleme.

Aber in der Politik geht es ja schon lange nicht mehr um den Menschen. Wie mir andere Leute als Kommentar auf die hier verlinkte Rede von Jörg Tauss zur Situation in Deutschland versicherten war desen Rede die einzige von vielen in der über Menschen gesprochen wurde. Andere Redner philosophierten lieber über Geld, Finanzkrise usw.

Hoffen wir, dass die anstehende Bundestagswahl Leute ins Parlament bringt die tatsächlich bereit sind Verantwortung zu übernehmen und nicht nur darüber faseln.