Nur 5 Jahre Sozialhilfe?

Wenn es um das Thema Einsparungen geht kommen natürlich immer die Sozialausgaben auf den Prüfstand. Und in diversen Diskussionsforen liest man dann auch immer wieder, dass man die Laufzeit für Sozialhilfe so wie in den USA auf nur 5 Jahre beschränken sollte, denn damit würde die Anzahl der Sozialhilfeempfänger zurückgehen, die Maßnahme also Wirkung zeigen.

Dass eine Laufzeitlimitierung rein mathematisch zum Sinken der Anzahl der Leute die Sozialhilfe beziehen führt ist diesen neoliberalen Predigern vielleicht noch bewusst, aber sie ignorieren diesen Zusammenhang und behaupten, dass diese Limitierung auf 5 Jahre ein Ansporn für den Sozialhilfeempfänger ist, seine Situation zu verbesern. Quasi eine US-Version von Hartz IV.

Was nach den 5 Jahren Sozialhilfe tatsächlich passiert kann man sich unschwer ausmalen. Querschüsse guckt heute auf die Empfänger von Lebensmittelmarken.  Das sind im März 2010 nur schlappe 40.157.395 US-Bürger gewesen, also ein wenig mehr als 40 Millionen.  Bei etwas mehr als 308 Millionen Einwohnern in den USA bedetuet das, dass jeder 7. US-Bürger auf Lebensmittelmarken angewiesen ist. Und das sind dann auch noch die Leute denen es vergleichsweise gut geht:

SNAP spiegelt trotz enormer Steigerungsraten nicht die wirkliche Armut in den USA wider, denn der Zugang zu den SNAP -Hilfen unterliegt strengen Restriktionen. Um in den „Genuss“ der Kreditkarten für Lebensmittelausgaben zu kommen, müssen arbeitsfähige Erwachsene zwischen 16 und 60 Jahren den Nachweis erbringen, dass sie Arbeit suchen und bereit sind bestimmte Arbeiten zu akzeptieren. Die Millionen entmutigten Arbeitnehmer, die aufgegeben haben einen Job zu suchen, fallen wie in der Arbeitslosenstatistik (U-3 komplett und bei der breiter gefassten Arbeitlosenrate U-6 nach einem Monat) auch bei SNAP durchs Netz.

Die Armut in den USA dürfte also noch dramatischer sein. Damit dürfte klar sein, dass Kürzungen bei den Sozialausgaben keine Probleme lösen sondern vielmehr neue Probleme schaffen.

Wir kochen über

Zumindest mein Zorn ist kurz vor dem Überkochen wenn ich das lese, was der hessische Chef-Koch gerade wieder abgelassen hat: Wir leben über unsere Verhältnisse. Und darum müssen wir auf die Schuldenbremse treten, denn schließlich soll die Schuldenneuafnahme im Jahr 2016 nur noch 6 Milliarden Euro betragen.

Wie diese Bremse aussehen wird ist klar: Vollbremsung bei allen Sozialleistungen, Roland Koch will ja schon bei der Kinderbetreuung und der Bildung sparen. Früher war unter Schülern der Witz verbreitet, dass man eigentlich den Status des politischen Gefangenen haben müsste weil die Schulpflicht ja existiert, damit unser Land nicht irgendwann mal von totalen Vollidioten regiert wird. Mission failed würde ich sagen, wenn ich die heutige politische Elite anschaue.

Allerdings verkündet Koch ja nichts wirklich Neues. Wie ein DejaVu sehe ich einen Bundeskanzler Schröder vor mir der dem geschockten Volk verkündet, dass man lange über seine Verhältnisse gelebt hat und zuviel Mitnahmementalität herrscht. Es sei daher notwendig dass man den Gürtel enger schnalle und die Deutschland AG ein einer gewaltigen Anstrengung namens Agenda 2010 wieder auf Kurs bringe. Was uns diese zukunftsweisende Politik gebracht hat sehen wir an den Heerscharen der Arbeitslosen die ohne Aussicht auf einen Job von den Jobcentern verwaltet und geknechtet werden. Und an den schönen Statistiken zur Lohnentwicklung in den letzten 10 Jahren. Da dürften wir das Schlußlicht in Europa sein und dank unserer Lohnzurückhaltung konnten wir uns zum Exportweltmeister auschwingen was anderen Ländern in der Eurozone ein massives Außenhandelsdefizit einbrachte. Kein Problem, das finanzieren wir jetzt mal schnell mit neuen Kreditien die sich in der Größenordnung eines halben Bundeshaushaltes bewegen, mal kurz und schmerzlos beschlossen, denn es gibt ja angeblich keine Alternative.

Und natürlich mussten wir die Banken retten, denn die waren ja systemrelevant wie man uns erzählt. Und jetzt kommt dieser Kotzbrocken daher und erzählt uns, dass wir über unsere Verhältnisse leben würden. Ja Herr Koch, ich lebe tatsächlich über meine Verhältnisse. Denn auch mein Konto ist permanent überzogen und trotzdem gebe ich Geld für Dinge aus, die ich nicht brauche. Beispielsweise Windeln für das Kind unserer Freundin die finanziell noch schlechter gestellt ist als wir und der wir trotzdem helfen weil die staatliche Hilfe hier offensichtlich versagt. Und obwohl ich weiß, dass diese Investition in Windeln sozusagen „voll für den Arsch“ ist mache ich das viel lieber als unserem Staat einen Teil meines sauer verdienten Geldes in Form von Steuern zu geben, denn das ist zwar genauso „für den Arsch“, nur eben etwas abstrakter. Aber da ich ja abhängig Beschäftigter bin habe ich eh keine Chance, Steuern nicht zu zahlen, denn das holt sich der Staat ja schon bevor mein Gehalt überwiesen wird. Und der karge Rest wird dann mit Verbrauchssteuern belastet.

Nicht dass man mich falsch versteht. Ich bin durchaus für Steuern und würde ich wissen, dass das Geld zu wirklich sinnvollen Dingen verwendet wird dann wäre das auch ok. Wenn ich aber sehe, wie unser aller Steuergeld in marode Banken gepumpt wird und man nun eine gescheiterte Währung krampfhaft am Leben erhalten will ohne aber die Ursachen für das Scheitern zu eliminieren, dann kriege ich so richtig Lust auf Frust.

Und wenn da noch so ein neoliberaler Einpeitscher kommt der mein ich müsse meine Gürtel enger schnallen, dann ist irgendwo die Schmerzgrenze erreicht. Aber warten wir mal auf die nächste Stufe in dieser Spardebatte, da werden dann voraussichtlich wieder diverse Opfer der verkorksten Politik der letzten Jahre gegeneinander ausgespielt. Business as usual.

Aus für MammaNetz

Leider kein Aprilscherz, was da heute in der Zeitung steht. Das MammaNetz, eine Anlaufstelle zur Betreuung von Frauen mit Brustkrebs muss zum Jahresende aufgeben:

Es ist eine Diagnose, die schockiert und Angst macht: Brustkrebs. 57 000 Frauen bekommen sie jedes Jahr in Deutschland gestellt. Was sie danach brauchen, ist kompetenter Rat. In Augsburg bekamen sie ihn bei mammaNetz: Die Begleitstelle für Frauen mit Brustkrebs betreute jedes Jahr über 200 Patientinnen – zwölf Monate lang, von der Diagnose bis zur Nachsorge. Ende 2010 ist nun Schluss: mammaNetz muss die Arbeit einstellen, weil Geld fehlt.

Auch wenn ich keine Frau bin und daher wohl nie Bedarf an den Beratungen haben finde ich es sehr traurig dass so ein sinnvolles und in meinen Augen notwendiges Angebot mangels Geld eingestellt wird.

Natürlich kann man argumentieren, dass so ein Angebot medizinisch nicht unbedingt notwendig ist. Aber wenn man sich mal in die Situation der Betroffenen hineinversetzt, dann dürften diese sehr froh um so ein Angebot sein. Gerade gestern habe ich in dem Buch das ich gerade lese („Switch: How to change things when change is hard“) über ein Projekt in Kalifornien gelesen bei dem man für Frauen mit Brustkrebsverdacht eine zentrale Anlaufstelle hat und das Ziel, dass die dort ankommende Patientin alle notwenidgen Untersuchungen in einem Gebäude bekommt und am selben Tag noch eine Diagnose. Das erspart der Patientin ständig neue Termine mit irgendwelchen Fachärzten ausmachen zu müssen und dann Tage und wochenlang auf die Diagnose warten zu müssen.

MammaNetz hatte zwar eine andere Zielsetzung aber war eben ein integraler Bestandteil in der Nachsorge. Wenn das nun wegfällt, dann fehlt einfach ein soziales Angebot, sprich das soziale Leben wird wieder um einen wichtigen Aspekt beschnitten. Aber Hauptsache man kann die nächste Gesundheitsreform mit Kopfpauschale ausrufen oder mit viel mehr Geld irgendwelche maroden Banken aus der Patsche helfen. Manchmal denke ich, die Prioritäten in unserem Land sind massiv falsch sortiert.

Die Irrtümer des Professors Heinsohn

Gestern abend las ich über den Gastbeitrag des Professors Heinsohn in der FAZ und ich war zutiefst erschüttert, dass ein Soziologe so etwas schreibt. Heute nacht habe ich trotz Aufmunterung durch die Anstalt im ZDF sehr schlecht geschlafen und mein Blutdruck war heute morgen im suboptimalen Bereich. Trotzdem fühle ich die Verpflichtung mich nochmals mit dem Geschreibsel des Herrn Professors zu befassen und seinen seltsamen Aussagen die notwendigen Argumente entgegenzusetzen. Ich will dabei versuchen, so sachlich wie möglich zu bleiben, auch wenn mein Zorn angesichts dieses Beitrages immer noch kocht.

Beginnen tut der Profesor mit einem Schreckenszenario in dem er von 100 notwendigen Geburten erzählt die nur zu 65 Prozent überhaupt gemacht werden. Und dass 15 dieser Kinder dann nicht „ausbildungsreif“ sind, 10 das Land verlassen und die 40 erforderlichen Nachwuchskräfte entmutigt werden in Deutschland zu bleiben. Und dann schwingt der Professor sich zum Propheten auf:

Im Jahr 2060 wird es statt heute 81 nur noch 65 Millionen Menschen in Deutschland geben; das Durchschnittsalter steigt von 44 auf 54 Jahre. Nach realistischen Szenarien werden 2060 nur noch 30 Millionen Menschen im Alter zwischen 24 und 65 Jahren stehen. Diese müssen 22 Millionen Alte sowie 13 Millionen Junge versorgen. Selbst wenn alle Bürger im erwerbsfähigen Alter arbeiten würden, müssten dann 100 Verdiener für knapp 120 Nichtverdiener aufkommen.

An dieser Stelle frage ich mich dann, welche magische Glaskugel der Professor hat um 50 Jahre in die Zukunft zu sehen. 50 Jahre sind verdammt viel, ich selbst war vor 50 Jahren noch nicht mal in der Planung bei meinen Eltern und wenn wir nur mal überlegen, was die Experten noch vor einem Jahr für Schreckenszenarios über die Schweinegrippe an die Wand malten und was dann tatsächlich passiert ist, dann erscheinen Prognosen wie die Zustände in 50 Jahren sein werden als reine Phantasiegebilde. Wenn es um solche Vorhersagen geht, dann fällt mir immer Volker Pispers ein (Video, ab 5:15 genau hingucken).

Weiter im Text. Der Professor prognostiziert dann munter weiter und sieht eine demographische Zukunft nur bei den „Bildungsfernen“ die er dann auch direkt mit Hartz-IV assoziiert. Und schon guckt er wieder in seine Glaskugel:

Deshalb steht zu befürchten, dass in einigen Jahrzehnten weit mehr als ein Viertel der Menschen in eine Hightech-Gesellschaft mit ihren hohen Qualifikationsanforderungen nicht passt.

Hier wird also ein Zusammenhang zwischen Hartz-IV und dem Nichterfüllen von hohen Qualitätsanforderungen definiert, den ich so nicht nachvollziehen kann. Ich selbst bin auch ein „Arbeiterkind“ und in der 7. Klasse Gymnasium wurde mir damals von den Pädagogen prognostiziert, dass ich „zu blöd für die Hilfschule“ wäre und das Jahreszeugnis das ich damals bekam reichte für drei mal Durchfallen. Trotzdem bin ich heute hochbezahlter Computerspezialist und erfülle wohl die hohen Qualitätsanforderungen der Hightech-Gesellschaft.

Kinder bereits während ihrer Kindheit als „bildungsfern“ und „erfüllt später nicht die Qualitätsanforderungen“ abzustempeln so wie es der Professor hier tut entspricht keineswegs dem Grundgedanken den die Verfasser unseres Grundgesetzes vor mehr als 60 Jahren in Artikel 3 geschrieben haben:

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Und jetzt kommt dieser Herr daher und maßt sich an, Kinder allein aufgrund ihrer Herkunft (in Hartz-IV-Familien) zu diskriminieren.

Und weil unser eigener Nachwuchs ja so dämlich ist schlägt der Professor dann die qualifizierte Einwanderung von „skilled immigrants“ vor. Dann merkt er aber, dass die Kinder mit Migrationshintergrund es mit dem deutschen Bildungssystem wohl sehr schwer haben und analysiert auch ganz flugs die Ursache für dieses Problem:

Deutschland rekrutiert seine Einwanderer vorrangig nicht aus Eliten, sondern aus den Niedrigleistern des Auslands, weshalb man eben nur etwa 5 Prozent qualifizierte Einwanderer gewinnt. Und deren Nachwuchs schleppt die Bildungsschwäche weiter.

Tja, dumm gelaufen. Aber anstatt über das „schlechte Material“ zu mosern könnte man ja auch mal überlegen, welche Maßnahmen es braucht um diesen Leuten tatsächlich zu helfen. Aber von solchen sozialpolitischen Überlegungen ist der Herr Soziologe natürlich meilenweit entfernt.Statt dessen kritisiert er die deutsche Politik:

Die deutsche politische Führung scheint fest entschlossen, weiter auf dem erfolglosen, immer teurer werdenden Weg der verfehlten Einwanderungs- und Sozialpolitik zu gehen.

Dann beschreibt er die Studien eines amerikanischen Politologen der sagt, „Mehr Geld vermehrt Armut“. Viel besser wäre es den amerikanischen Weg zu gehen, also die Sozialhilfe auf 5 Jahre zu begrenzen. Und am Beispiel USA dann ein paar Zahlen:

Bezogen vor der Reform 12,2 Millionen amerikanische Bürger Sozialhilfe, so waren es 2005 nur noch 4,5 Millionen. Die Frauen der Unterschicht betrieben nun Geburtenkontrolle. So sank die Zahl der „welfare mothers“ drastisch, ebenso die Kriminalität der Söhne dieses Milieus.

Man beachte: Diese Zahlen beschreiben die sinkende Anzahl der Sozialhilfeempfänger was bei einer zeitlichen Limitierung der Sozialhilfe mathematisch einfach die Schlußfolgerung ist: Irgendwann fallen genügend aus der Sozialhilfe raus. Ob diese per Formel entsorgten „Karteileichen“ dann tatsächlich genügend zum Leben haben oder eher nicht wird hier nicht untersucht! So berichtet die Berliner Umschau vom 10. März dass im Dezember 2009 insgesammt 39 Millionen Amerikaner Lebensmittelmarken erhielten.

Nun schwenkt der Professor zurück nach Deutschland. 1,7 Millionen Kinder leben von Sozialhilfe, also sozusagen 20% der Babies sind von Steuergeldern finanziert. Ja, das ist ein Armutszeugnis für unser Land, aber es ist wohl nicht die Schuld der Kinder, dass ihre Eltern nicht genügend Geld verdienen um ohne Sozialhilfe überleben zu können.

Dann geht der Professor wieder auf Bildzeitungsniveau runter:

Solange die Regierung das Recht auf Kinder als Recht auf beliebig viel öffentlich zu finanzierenden Nachwuchs auslegt, werden Frauen der Unterschicht ihre Schwangerschaften als Kapital ansehen.

Vielleicht sollte sich der Herr Professor einmal den Artikel 6 Grundgesetz zu Gemüte führen:

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

Es ist also keine „Auslegungssache der Regierung“ sondern eines der Grundrechte auf denen dieser Staat basiert. Weiter geht es mit dem neoliberalen Reformprogramm des Professors:

Allein eine Reform hin zu einer Sozialnotversicherung mit einer Begrenzung der Auszahlungen auf fünf Jahre statt lebenslanger Alimentierung würde wirken – nicht anders als in Amerika.

Man beachte das „Allein“, auch bekannt als TINA (There Is No Alternative). Ja, es würde wirken und sicher nicht anders als in Amerika. Also statt lebenslang Hartz IV nur noch 5 Jahre Sozialhilfe und dann drucken wir halt auch wieder Lebensmittelmarken und die Caritas darf in jedem Stadtteil Suppenküchen öffnen um die Armen die dann auch in keiner Statistik mehr geführt werden zu verköstigen.

Eine solche Umwandlung des Sozialstaats würde auch die Einwanderung in die Transfersysteme beenden. Deutschland könnte dann im Wettbewerb um ausländische Talente mitspielen, um seinen demographischen Niedergang zu bremsen.

Jetzt kommt wieder die Keule mit dem demographischen Niedergang der ja nur aufzuhalten sei wenn Deutschland „skilled immigrants“ bekommen würde statt weiterer Empfänger von Sozialhilfe. Die Frage die sich der Professor hier stellen sollte wäre aber, ob jemand in ein Land einwandern will in dem ein signifikanter Prozentsatz der Bevölkerung arm ist und ohne staatliche Hilfe und Fürsorge dasteht. Ein Land in dem die sozialen Spannungen aufgrund des Ungleichgewichtes extrem sind und sich durchaus auch explosionsartig entladen können.

Nein Herr Professor. Wir brauchen keine weitere Beschneidung der Sozialsysteme sondern vielmehr ein System in dem Kinder nicht schon vor Schulbeginn als „nicht ausbildungsfähig“ klassifiziert werden sondern eher die notwendige Förderung erhalten um trotz ungünstiger Startposition im Leben trotzdem einen Erfolg zu haben.

Und nebenbei bemerkt, der Wert eines Menschen bemisst sich nicht daran, ob dieser zu den sogenannten Leistungsträgern gehört nicht. Auch das haben die Verfasser des Grundgesetzes schon gewusst als sie Artikel 1 niederschrieben:

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

Aber das wird ein Professor Heinsohn in seiner Ideologie wohl nicht verstehen…

Ich bin entsetzt!

Ganz ehrlich, das wir in Deutschland mittlerweile wieder so weit sind hätte ich nicht gedacht. Aufmerksam wurde ich auf diesen „Gastkommentar“ durch diesen Artikel auf Telepolis. So etwas im deutschen Nachrichten-Mainstream (laut den Kommentaren bei Heise hat das auch Bild heute in der Printausgabe gehabt) ist genau das was ich schon immer befürchtet habe. Während die Politik medienwirksam bei jeder Gelegenehit mahnt dass so etwas wie im dritten Reich nie mehr passieren darf schreiben unsere sogenannten „Experten“ jetzt schon das Drehbuch für das nächste Reich des Schreckens. Wie der Autor bei Heise schon beschrieben hat erfüllt dieser „Gastkommentar“ wohl den Straftabestand der Volksverhetzung.

So ein Artikel ist aber auch ein Prüfstein für unsere Demokratie. Denn auch wenn ich diesen „Gastkommentar“ für absolut abscheulich und verachtenswert halte, so muss ich dem Professor doch auch sein Recht auf freie Meinungsäußerung zugestehen. Und ja, in gewisser Weise bin ich sogar froh, dass er diesen Kommentar veröffentlicht hat, denn das gibt der aktuellen Sozialdiskussion einen ganz neuen Geschmack. Und es zeigt deutlich, das wir weiterhin wachseim sein müssen und vor diesen neoliberalen Schwachköpfen eine Front erreichten müssen die diese nicht niederreißen können.

Lästerwelle hetzt weiter gegen den Sozialstaat

Unser Außenminister und Vizekanzler legt weiter nach im Streit um Hartz IV und seine Äußerungen von der vergangenen Woche. Die Augsburger Allgemeine schreibt:

Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle lässt in der Debatte um die Hartz-IV-Leistungen nicht locker und sorgt mit scharfen Äußerungen weiter für Wirbel. Am Wochenende bekräftigte der Vizekanzler seinen Vorwurf, diejenigen, die arbeiten, würden «mehr und mehr zu den Deppen der Nation».

Und unser neuer Inneminister Thomas de Maizière haut in eine ähnliche Kerbe.

«Was wir brauchen, ist eine neue Aufstiegsmentalität, sonst wird die Solidarität der Steuer- und Abgabenzahler zerstört, die das System finanzieren»

Da fallen mir doch gleich zwei Sachen ein. Zum einen ist diese Befürchtung des Innenministers absolut gegenstandslos, denn die Solidarität die er hier erwähnt ist staatlich verordnet. Würde ich mich diesem Zwang zur Solidarität entziehen, dann wäre mein Name wohl auch auf der CD die gerade von einem Schweizer der Regierung angeboten wird. Es ist ja keineswegs so, dass ich beim Entrichten meiner Steuern sagen könnte, wofür ich gerne meinen solidarischen Beitrag leiste und der Verwendung meiner Gelder für andere Dinge widersprechen könnte.

Diese Unmöglichkeit, über die Verwendung meiner Steuergelder zu bestimmen führt dann auch dazu, dass ich micr manchmal vorkomme wie der Depp der Nation. Aber das liegt nicht daran, dass mit meinen Sozialbeiträgen und Steuern das Überleben derer finanziert wird die von unserem System als „wirtschaftlich nutzlos“ ausgemustert wurden, sondern eher daran, dass noch viel mehr Steuergelder für fragwürdige Dinge wie den Kriegseinsatz in Afghanistan oder gar die Rettung von notleidenden Banken eingesetzt werden. Oder auch, dass mit den Steuergeldern die Diäten der Politiker finanziert werden die sich regelmäßig eine Erhöhung gönnen, denn die Dampfplauderei in der Politik ist natürlich nur was für Leistungsträger. Ich würde den Politikern einfach mal nahelegen, es 3 Monate mit dem von ihnen festgelegten Betrag für ALG II zu probieren. Drei Monate kann man schon mal gucken wie ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung leben muss. Und immerhin hat man ja die Gewissheit, dass man nach drei Monaten wieder aussteigen kann, ein Hartz IV Empfänger hat diese Option leider nicht. Für den kann dieser Zustand durchaus „lebenslänglich“ bedeuten.

Eine sehr gute Analyse des Problemfalles HartzIV gab es diese Woche auf Telepolis unter dem Titel „Hartz IV und der hausgemachte Niedriglohnsektor„. Dem kann ich eigentlich nichts mehr hinzufügen.

Manchmal möchte ich einfach nur kotzen

Sorry für die etwas provokative Überschrift, aber manchmal liest man Dinge wie die heutige Berichterstattung über das Urteil zu den Post-Mindestlöhnen und dann verpürt man ohnmächtige Wut und das Bedürfnis, das Verdauungssystem auf „Rückwärtsgang“ zu schalten.

So schreibt z.B. Birger Nicolai in der Online-Ausgabe der Welt:

Das Urteil gegen den Post-Mindestlohn von bis zu 9,80 Euro ist richtig. Denn die Deutsche Post und die Gewerkschaft Ver.di haben den Lohn mit Tricks erzwungen – gegen den Willen der Wettbewerber. Ohne die fragwürdige Untergrenze wird die Konkurrenz belebt, und neue Jobs können entstehen.

Dort wird auch ganz schön begründet warum der Post-Mindestlohn durch „Trickserei“ zustande kam:

Damals hatte ein Arbeitgeberverband, der ausschließlich von der Deutschen Post besetzt worden war, zusammen mit Ver.di einen hohen Mindestlohn ausgehandelt.

Andere Firmen aus der Branche wie TNT, Pin oder WAZ Post waren gar nicht am Verhandlungstisch. Nur so konnte die Deutsche Post einen Lohn durchdrücken, den die Konkurrenten während ihres Geschäftsaufbaus gar nicht zahlen konnten.

Also echt, das ist unfair wenn der Ex-Monopolist, der wahrscheinlich auch der größte Anbieter von Postdienstleistungen ist seine „Mehrheit“ ausnutzt um einen sauteuren Mindestlohn zu beschließen.

Und dann geht es absolut geil weiter im Kommentar:

Stattdessen hatten diese Firmen eine eigene Lohnuntergrenze mit einer neuen Gewerkschaft festgelegt. Die liegt zwar – im Westen Deutschlands – um rund ein Viertel niedriger als der Post-Mindestlohn, nämlich bei 7,50 Euro statt 9,80 Euro wie der jetzt gekippte Betrag. Sie ist aber verbindlich für alle Firmen und schützt die Beschäftigten daher vor Willkür.

Also nochmal zum Mitschreiben damit es alle auch richtig verstehen:

Wenn die Post zusammen mit der Gewerkschaft ver.di einen Mindestlohn aushandelt, dann ist das illegal und Trickserei weil man die anderen Mitbewerber nicht gefragt hat.

Wenn diese Mitbewerber mit einer neuen Gewerkschaft einen Hungerlohn als Mindestlohn definieren und das unter Ausschluß von Post und ver.di, dann ist das ein gerechter und verbindlicher Mindestlohn und schützt vor Willkür.

Ganz unwillkürlich fällt mir da wieder der Roland Koch ein der dann wieder schwadronieren wird, dass es einem Arbeiter schwer vermittelbar ist arbeiten zu gehen wenn die Hartz-IV-Empfänger das gleiche Geld fürs Nixtun bekommen. Dass man als Gegenmaßnahme statt die Hartz-IV-Empfänger weiter zu entwürdigen auch den Arbeitern einen anständigen Mindestlohn zahlen könnte ist keinem der Politiker eingefallen.

Interessant sind bei diesem Kommentar aber auch noch zwei Dinge:

  1. Die Kommentarfunktion wurde von den Admins gerade deaktiviert, wahrscheinlich passen die Kommentare so gar nicht zur neoliberalen Ausrichtung der „Welt“.
  2. Eine Online-Umfrage sagt nach knapp 2000 Stimmen aus, dass 41% der Meinung sind, dass Mindestlohn noch höher als die 9,80 Euro liegen müsste. 40% halten den Mindestlohn für gerecht und nur 19% für zu hoch. Bin mal gespannt, wann diese Umfrage ausgeblendet wird.

Aber vielleicht sollte man das Urteil einfach als Steilvorlage nehmen und gegen alles mögliche klagen, also z.B. gegen die Abkehr von der paritätischen Verteilung bei den Krankenkassenbeiträgen die ja auch ohne die Beitragszahler zu fragen beschlossen wurde.

Links für 2010-01-22

Heute mal wieder ein paar Links zu lesenswerten Beiträgen im Netz.

  • Als das Geld vom Himmel fiel“ – Die Zeit beschäftigt sich mit der Finanzkrise, wie die EZB Geld macht und welche „segensreichen Dinge“ dann mit dem Geld gemacht werden. Absolut Lesenswert. (via NachDenkSeiten)
  • Abmahn-Super-Gau“ – Telepolis berichtet über eine Abmahnung die definitiv nach hinten losgegangen ist.
  • Offener Brief an Roland Koch“ – Kinder-Alarm beschäftigt sich mit den neuesten Ideen des hessischen Ministerpräsidenten.

Generation Praktikum?

Heute waren wir im Dorgeriemarkt einkaufen (nein, nicht beim Schlecker, sondern beim Mitbewerber) und als wir an der Kasse zahlten saß dort eine freundliche Dame die ich mal auf über 40 schätzen würde (auch wenn man sich da fürchterlich in die Nesseln setzen kann, ich weiß). An ihrem weißen Verkäuferkittel war ein Schild angeheftet und das trug aber statt des Namens nur die Bezeichnung „Praktiktan/in“.

Pkötzlich machte der Einkauf gleich viel weniger Spaß, denn mir wurde klar, dass ich hier einer Vertreterin der immer häufiger anzutreffenden „Generation Praktikum“ gegenüberstand. Also jemand, den man egal wie alt er est erst mal als „Praktikant“ beschäftigt, denn Praktikanten sind ja noch in der Ausbildung, keine vollwertigen Arbeitskräfte und verdienen deshalb auch deutlch weniger.

Traurig ist auch, dass dieser Frau sozsuagen die Identität einer „Frau Soundso“ genommen wurde und sie auf ihrem Namensschild eben nicht den Namen sondern nur den Status in der Hackordnung dokumentieren darf. So etwas empfinde ich als absolute Respektlosigkeit gegenüber der Persönlichkeit dieser Dame.

Die Frage ist, wo ich meine Drogerieartikel zukünftig kaufen soll ohne mich dabei schlecht zu fühlen. Wieder bei dieser Kette oder wieder in den Regalen der lokalen Supermärkte?

Ich habe obigen Text mal auch in das Kontaktformular der Drogeriemarktkette kopiert und abgeschickt. Mal sehen, ob ich eine Stellungnahme erhalte oder nicht.