Das Internet ist toll. Mit ausreichend Bandbreite versorgt es uns sogar mit Videomaterial, längst sind die Zeiten des „linearen Fernsehens“ vorbei als man noch jede Woche eine Programmzeitschrift kaufen musste um zu wissen, was die Fernsehsender wann ausstrahlen. Man hatte sogar Videorekorder die für einen die Sendungen aufnehmen konnten falls man zur Sendezeit nicht zuhause war. Alles Schnee von gestern, heute streamen wir rund um die Uhr. Macht es das aber besser..?
Egal wo etwas auf der Welt passiert, wir können live dabei sein. Ganz viele Livestreams gibt es beispielsweise in den USA, hier mal eine kleine Collage aus dem was ich heute bei YouTube so an Dingen gefunden habe die live gestreamt wurden:
Wenn also irgendwo auf dem Highway in Kalifonrnen ein Autofahrer vor der Polizei flüchtet können wir live dabei sein. Direktübertragung aus dem Hubschrauber des amerikanischen Fernsehsenders, der die Verfolgungsjagd in Echtzeit auf den heimischen PC streamt. Die Unfälle dort sind nicht von Stuntmen choreografiert sondern passieren wirklich so wie wir es sehen. Ein Killer bringt Cops in Minnesota um? CNN berichtet live über Stunden. Donald Trump hält eine seinerr unsaglichen Reden? Wir können live zuschauen. Und natürlich ist es mit dem Datenschutz in den USA auch relativ schlecht bestellt, werden die flüchtigen Autofahrer gestellt, dann zoomt man direkt ins Gesicht und falls der Täter einen Namen hat, dann wird dieser auch in die ganze Welt berichtet.
Längst vorbei sind anscheinend die Zeiten des Journalismus in denen man die Ereignisse zu einem Bericht der sich auf das Wesentliche beschränkt zusammengefasst hat. Nein, heute sind wir live dabei, können uns die nächste Ladung Chips zwischen die Zähne schieben während wir zuschauen, wie die Cops auf einen flüchtenden Verdächtigen feuern.
Und ich habe mich schon lange gefragt, wann dieser Trend, bei allem was irgenwo passiert eine Kamera drauf zu halten und live zu berichten auch zu uns über den Atlantik schwappt. Nun, heute war es wohl soweit:
Heute wurde an eine Bildungszentrum in Mölln wohl ein Bewaffneter gemeldet. Und schwupps, schon haben wir zweieinhalb Stunden Livestream. Zweieinhalb Stunden für das Ergebnis, dass am Ende kein Verdächtiger gefunden werden konnte und das SEK wieder abzog.
Was hier bedient wird ist die pure Sensationsgier des Publikums. Und dank Internet haben wir die Möglichkeit, eben jedes Geschehen, das eine „trending Story“ werden kkönnte von Anfang an live zu streamen. Keiner muss mehr redaktionell entscheiden ob das „on air“ gehen kann oder nicht, es geht einfach „on net“ und man ist nicht mehr auf ein paar TV-Kanäle beschränkt.
Klar, diesen Sensationsjournalismus gab es auch schon früher zu Zeiten der Fernsehesender. Ich erinnere mich noch mit Schrecken an das Geiseldrama von Gladbeck zurück, als Fernsehreporter die Täter interviewten während dies den Geiseln ihre Waffen an den Hals hielten. Am Ende waren dann zwei Geiseln tot, aber das Fernsehpublikum hatt ihre Sensation.
Oder erinnern wir uns an den 11. September 2001, als die Welt live zusehen konnte wie die Twin Towers in New York in sich zusammenstürzten. Wobei dies durchaus als Nachricht von hoher Bedeutung angesehen werden kann, denn in der Folge wurden ja Kriege angefangen und das Zeitalter des „War on terror“ begann.
Nun haben wir aber eben den Zustand, dass jeder noch so kleine Furz live gestreamt wird um die Sensationsgier zu bedienen. Journalistische Sorgfalt bleibt auf der Strecke, was zählt ist „dabei zu sein, live zu berichten“.
Die Frage die ich mir stelle, ist ob das gut für unser gesellschaftliches Klima ist. Muss ich wirklich alles als „wichtige Nachricht“ framen, auch wenn es sich am Ende als Sturm im Wasserglas entpuppt. Fördern wir mit solchen Berichten nicht auch Vorurteile wie, dass die Zeiten unsicher sind oder auch Rassismus wenn der von den Cops gestellte Flüchtende mal wieder eine nicht-weiße Hautfarbe hat? Der Zuschauer bekommt eine Welt der Sensationen präsentiert, vornehmlich aus den Feldern Kriminaltiätsbekämpfung oder Katastrophen. Dass es vielleicht auch gute Nachrichten gibt wird dabei in den Hintergrund gedrängt und langfristig fürchte ich, dass so die Lage von den Zuschauern solcher Streams wesentlich schlechter beurteilt wird als sie tatsächlich ist.
Müsste Neil Postman sein „Wir amüsieren uns zu Tode“ heute schreiben, dann wäre wohl das Live-Streaming im Internet eines seiner Hauptthemen. Und ja, wir müssten viel mehr die Fähigkeit der Medienkompetenz trainieren die dann solche Sensations-Streams vielleicht obsolet machen weil wir lieber auf gut recherchierte Fakten vertrauen als auf pure Sensationsgier.