Binsenweisheiten

Wir leben in interessanten Zeiten. Aktuell müssen wir uns sogar mit der Möglichkeit auseinandersetzen, dass in unserem Land doch irgendwann wieder antidemokratische Parteien an die Regierung kommen könnten. Diese hätten aufgrund der aktuellen Rechtslage durchaus die Möglichkeit, das Bundesverfassungsgericht auszuhebeln. Darum wurde eine Grundgesetzänderung vorgeschlagen, mit der das höchste deutsche Gericht sozudagen vor einer „feindlichen übernahme“ geschützt werden kann. Eine solchte Grundgesetzänderung ist allerdings nur mit einer 2/3-Mehrheit möglich, d.h. es braucht die Stimmen der Union um das zu beschließen. Und diese Woche hat die Union den Plänen eine Absager erteilt.

Als Begründung für die Absage wird von der stellvertrenden Fraktionsvorsitzenden Andrea Lindholz (CSU) folgendes angeführt: „Viele der in den vergangenen Wochen diskutierten Vorschläge zur Umgestaltung der rechtlichen Grundlagen des Bundesverfassungsgerichts bringen nicht nur Vorteile mit sich. Das ist auch in einem Austausch mit Vertretern der Ampelfraktionen deutlich geworden.“

Aha. Das ist ja mal eine bahnbrechende Erkenntnis: Wenn ich irgend etwas tue, dann hat das womöglich nicht nur Vorteile, sondern vielleicht auch ein paar Nachteile.

Wenn ich also eine Lebensversicherung abschließe, dann sind zwar meine Angehörigen im Falle meines Ablebens zumindest gut finanziell versorgt (Vorteil), aber natürlich muss ich dafür jeden Monat einen gewissen Geldbetrag abdrücken (Nachteil).

Laut Google-Suche treffen wir jeden Tag 20.000 Entscheidungen, bei 86400 Sekunden die uns am Tag zur Verfügung stehen bleiben uns dann rechnerisch nicht mal 5 Sekunden für eine Entscheidung. Das sind aber eher reflexhafte Reaktionen auf die aktuelle Situation in der wir uns befinden. Wenn ich sehe dass beim Auto vor mir die Bremslicher angehen, dann werde ich einfach auch bremsen ohne lange zu evaluieren, welche Vor- oder Nachteile dieses Fahrmanöver mit sich bringt.

Geht es hingegen um mehr als die Reaktion auf Situationen, sondern eher um Entscheidugen die ich treffe um kurz- oder langfristige Ziele zu erreichen, dann mache ich mir schon eine Menge Gedanken dazu. Angefangen von „was kostet es, kann ich es mir überhaupt leisten“ bis hin zu „was sind die Folgekosten und Aufwände dieser Entscheidung“. Wenn ich also überlege mir z.B. einen Hund zu holen, dann geht es nicht nur um die Schutzgebühr die ich ans Tierheim oder den Züchter zahle, sondern auch um die Tatsache, dass dieses neue Familienmitglied dann jeden Tag was zum Essen braucht, außerdem jeden Tag raus will und ich mit dem „Gassi-Gehen“ einen zusätzlichen Zeitaufwand habe. Und dass ich sozuagen eine Verpflichtung für die Lebenszeit des Hundes eingehe.

Und wenn ich mich gegen etwas entscheide, dann bin ich durchaus in der Lage, die Faktoren die zu meiner Ablehnung eines Vorhabens geführt haben genau zu benennen, ohne mich hinter der Nebelkerze „das hat nicht nur Vorteile“ verschanzen zu müssen. Denn das ist einfach eine Binsenweisheit, denn natürlich kann ich für jede Entscheidung auch ein paar Nachteile finden.

Von einer demokratischen Partei jedoch erwarte ich dann schon, dass diese sehr genau diese Bedenken artikuliert, denn nur so kann ich verstehen, was die Bedenken auslöst und mir überlegen, ob die tatsächlich gewichtig sind und was man tun kann um einen von allen akzeptierten Kompromiss zu finden. So funktioniert nun mal der parlamentarische Prozess, vorausgesetzt, alle daran beteiligten Parteien und Abgeordneten haben tatsächlich ein Interesse daran, etwas zu verbessern oder wie in diesem Fall eben einen zusätzlichen Schutz für das Bundesverfassungsgericht zu installieren.

Die diese Woche mit diesen Nicht-Argumenten begründete Ablehnung der Union macht auf mich jedenfalls den Eindruck, dass die Union hier sich quer legt weil Friedrich Merz eben nicht mehr zu konstruktiver Zusammenarbeit in wichtigen Fragen bereit ist, sondern er sich im Dauerwahlkampfmodus befindet weil er doch so gerne Bundeskanzler wäre.

Und ja, man kann natrülich argumentieren, dass „das Bundesverfassungsgericht ein starkes, unabhängiges Organ sei“ und „dass unsere Demokratie widerstandfähig genug sei, dass es so bleibt“. Und wenn wir in diesen medizinsichen Metaphern argumentieren, dann erinnere ich mich an die diversen Leute, die auch der festen Ansicht waren, dass sie ja ein gesundes Immunsystem hätten und ihnen eine COVID-Infektion nicht viel tun könne. Famous last words, sozusagen. Und wir hätten es in der Hand mit wenig Aufwand dem Bundesverfassungsgericht eine Impfung gegen zukünftige rechtsextreme Virusattacken zu ermöglichen, aber nein, selbst für so eine eigentlich triviale Entscheidung fehlt uns die Einigkeit unter den demokratischen Parteien.

Ich denke, ich werde wohl mal einen Brief an diverse Unionspolitiker schreiben müssen und um Aufklärung bitten, was denn genau die Nachteile sind und warum sie diese nicht öffentlich ansprechen wollen.

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